Die Perlen nicht allein, in deines Mundes Pforte
Bewahren mußt du mehr als Perlen deine Worte.
Die gute Lehre nahm vordem ein weiſer Mann
Von einem armen, der mit Schaden ſie gewann.
Der Arme, der im Sand ein Dutzend Perlen fand,
Vernaͤhte zehn davon in ſein zerlumpt Gewand.
Die beiden uͤbrigen, weil ihm die Liſt war kund
Der Diebe, nahm er und verwahrte ſie im Mund.
Die Diebe kamen ihm die Kleider durchzuſehn,
Und nahmen die darin verborgnen alle zehn.
Er dachte: Fahret hin! ihr ſeyd des Gluͤckes Gabe;
Mir gnuͤgen noch die zwei, die ich im Munde habe.
Zum Gluͤcke dacht’ ers nur, denn haͤtt’ er es geſprochen,
Sie haͤtten auch die zwei ihm aus dem Mund gebrochen.
Doch wenn ſich dir das Gluͤck verſchworen hat zum Boͤſen,
So wird zur Unzeit es dir ſchon die Zunge loͤſen.
Er geht zur Stadt und will verkaufen ſeinen Schatz,
Und denkt, beim Juwelier iſt wohl der rechte Platz.
Dem aber kamen heut zwoͤlf Perlen grad abhanden;
Er freut ſich, daß ſobald die zwei davon ſich fanden.
Wie er das lump’ge Kleid des Finders angeſehn,
Fragt er: Das ſind die zwei, wo ſind die andern zehn?
Der Mann in Unſchuld ſpricht: der Dieb hat ſie genommen.
„Ganz recht! wer iſt der Dieb? Du mußt zum Richter komm
Der arme Mann erſchrickt, laͤßt ſeinen Schatz in Stich,
Entflieht in Eil und nimmt die Lehr’ allein mit ſich:
Die Perlen nicht allein, in deines Mundes Pforte
Bewahren mußt du mehr als Perlen deine Worte.