Der Ewige JudeFragmentarischDes Ewigen Juden erster FetzenUm Mitternacht wohl fang ich an,Spring aus dem Bette wie ein Toller;Nie war mein Busen seelevoller,Zu singen den gereisten Mann,Der Wunder ohne Zahl gesehn,Die trutz der Lästrer KinderspotteIn unserm unbegriffnen GottePer omnia tempora in Einem Punkt geschehn.Und hab ich gleich die Gabe nichtVon wohlgeschliffnen, leichten Reimen,So darf ich doch mich nicht versäumen;Denn es ist Drang, und so ists Pflicht.Und wie ich dich, geliebter Leser, kenne,Den ich von Herzen Bruder nenne:Willst gern, vom Fleck und bist so faul,Nimmst wohl auch einen Ludergaul,Und ich, mir fehlt zu Nacht der Kiel,Ergreif wohl einen Besenstiel.Drum hör es denn, wenn dirs beliebt,So kauderwelsch, wie mir der Geist es gibt. In Judäa, dem heiligen Land,War einst ein Schuster, wohlbekanntWegen seiner Herz-Frömmigkeit,Zur gar verdorbnen Kirchenzeit.War halb Essener, halb Methodist,Herrnhuter, mehr Separatist,Denn er hielt viel auf Kreuz und Qual;Genug, er war Original,Und aus OriginalitätEr andern Narren gleichen tät. Die Priester vor so vielen JahrenWaren, als wie sie immer waren,Und wie ein jeder wird zuletzt,Wenn man ihn hat in ein Amt gesetzt.War er vorher wie ein Ameis krabbligUnd wie ein Schlänglein schnell und zabblig,Wird er hernach in Mantel und KragenIn seinem Sessel sich wohlbehagen.Und ich schwöre bei meinem Leben.Hätte man Sankt Paulen ein Bistum gegeben:Pollrer wär worden ein fauler BauchWie coeteri confratres auch. Der Schuster aber und seinesgleichenVerlangten täglich Wunder und Zeichen,Daß einer predgen sollt für Geld,Als hätt der Geist ihn hingestellt.Nickten die Köpfe sehr bedenklichÜber die Tochter Zion kränklich,Daß, ach, auf Kanzel und AltarKein Moses und kein Aaron war,Daß es dem Gottesdienste ging,Als wärs ein Ding wie ein ander Ding,Das einmal nach dem Lauf der WeltIm Alter dürr zusammenfällt. »O weh, der großen Babylon!Herr, tilge sie von deiner Erden,Laß sie im Pfuhl gebraten werden,Und, Herr, dann gib uns ihren Thron.«So sang das Häuflein, kroch zusammen,Teilten so Geists- als Liebesflammen,Gafften und langeweilten nun,Hätten das auch können im Tempel tun.Aber das Schöne war dabei.Es kam an jeden auch die Reih,Und wie sein Bruder welscht’ und sprach,Durft er auch welschen eins hernach.Denn in der Kirche spricht erst und letztDer, den man hat hinaufgesetzt,Und gläubigt euch und tut so großUnd schließt euch an und macht euch los,Und ist ein Sünder wie andre Leut,Ach und nicht einmal so gescheut.*Der größte Mensch bleibt stets ein Menschen-Kind,Die größten Köpfe sind das nur, was andre sind;Allein, das merkt, sie sind es umgekehrt.Sie wollen nicht mit andern ErdentröpfenAuf ihren Füßen gehn, sie gehn auf ihren Köpfen,Verachten, was ein jeder ehrt;Und was gemeinen Sinn empört,Das ehren unbefangne Weisen.Doch brachten sies nicht allzu weit,Ihr non plus ultra jeder ZeitWar: Gott zu lästern und den Dreck zu preisen.*Die Priester schrieen weit und breit:Es ist, es kommt die letzte Zeit,Bekehr dich, sündiges Geschlecht!Der Jude sprach: Mir ists nicht bang,Ich hör vom jüngsten Tag so lang.*Behalten auch zu unsern ZeitenDie Gabe, Geister zu unterscheiden,Kap und Champagner und BurgunderVon Hoch- nach Rüdesheim hinunter.*Der Vater saß auf seinem Thron;Da rief er seinem lieben Sohn,Mußt zwei- bis dreimal schreien.Da kam der Sohn ganz überquerGestolpert über Sterne herUnd fragt’, was zu befehlen.Der Vater fragt’ ihn, wo er stickt –»Ich war im Stern, der dorten blickt,Und half dort einem WeibeVom Kind in ihrem Leibe.«Der Vater war ganz aufgebrachtUnd sprach: Das hast du dumm gemacht,Sieh einmal auf die Erde.Es ist wohl schön und alles gut,Du hast ein menschenfreundlich BlutUnd hilfst Bedräng’ten gerne.«*Als er sich nun hernieder schwungUnd näher die weite Erde sahUnd Meer und Länder weit und nah,Ergriff ihn die Erinnerung,Die er so lange nicht gefühlt,Wie man dadrunten ihm mitgespielt.(Wie man zu einem Mädchen fliegt,Das lang an unserm Blute sogUnd endlich treulos uns betrog.)Er fühlt in vollem Himmels-FlugDer irdschen Atmosphäre Zug,Fühlt, wie das reinste Glück der WeltSchon eine Ahndung von Weh enthält.Er denkt an jenen Augenblick,Da er den letzten TodesblickVom Schmerzen-Hügel herab getan,Fing vor sich hin zu reden an:»Sei, Erde, tausendmal gegrüßt!Gesegnet all ihr meine Brüder!Zum erstenmal mein Herz ergießtSich nach dreitausend Jahren wieder,Und wonnevolle Zähre fließtVom nimmertrüben Auge nieder.O mein Geschlecht, wie sehn ich mich nach dir!Und du, mit Herz und Liebes-ArmenFlehst du aus tiefem Drang zu mir.Ich komm, ich will mich dein erbarmen.O Welt voll wunderbarer Wirrung,Voll Geist der Ordnung, träger Irrung,Du Kettenring von Wonn und Wehe,Du Mutter, die mich selbst zum Grab gebar!Die ich, obgleich ich bei der Schöpfung war,Im ganzen doch nicht sonderlich verstehe,Die Dumpfheit deines Sinns, in der du schwebtest,Daraus du dich nach meinem Tage drangst,Die schlangenknotige Begier, in der du bebtest,Von ihr dich zu befreien strebtestUnd dann, befreit, dich wieder neu umschlangst –Das rief mich her aus meinem Sternen-Saale,Das läßt mich nicht an Gottes Busen ruhn.Ich komme nun zu dir zum zweiten Male,Ich säete dann, und ernten will ich nun.«*Er auf dem Berge stille hält,Auf den in seiner ersten ZeitFreund Satanas ihn aufgestelltUnd ihm gezeigt die volle WeltMit aller ihrer Herrlichkeit. Er sieht begierig rings sich um,Sein Auge scheint ihn, zu betrügen,Ihm scheint die Welt noch um und umIn jener Sauce tief zu liegen,Wie sie an jener Stunde lag,Da sie bei hellem, lichten TagDer Geist der Finsternis, der Herr der alten Welt,Im Sonnenschein ihm glänzend dargestelltUnd angemaßt sich ohne Scheu,Daß er hier Herr im Hause sei;Nicht gut, nicht bös, nicht groß, nicht klein,So scheißig, als sie sollte sein –Doch wenn ers tät sich feste kopfen,Das Reich Gottes hinein zu pfropfen. »Wo!« rief der Heiland, »ist das Licht,Das hell von meinem Wort entbrennen?Weh! und ich seh den Faden nicht,Den ich so rein vom Himmel ’rab gesponnen.Wo haben sich die Zeugen hingewandt,Die weiß aus meinem Blut entsprungen,Und, ach, wohin der Geist; den ich gesandt –Sein Wehn, ich fühls, ist all verklungen.Schleicht nicht mit ewgem Hunger-Sinn,Mit halbgekrümmten Klauen-Händen,Verfluchten, eingedorrten LendenDer Geiz nach tückischem Gewinn,Mißbraucht die sorgenlosen FreudenDes Nachbars auf der reichen FlurUnd hemmt in dürren EingeweidenDas liebe Leben der Natur?Verschließt der Fürst mit seinen SklavenSich nicht in jenes MarmorhausUnd brütet seinen irren SchafenDie Wölfe selbst im Busen aus?Ihm wird zu grillenhafter StillungDer Menschen Mark herbeigerafft,Verspritzt in ekler ÜberfüllungVon Tausenden die Nahrungskraft.In meinem Namen weiht dem BaucheEin Armer seiner Kinder Brot;Mich schmäht auf diesem faulen SchlaucheDas goldne Zeichen meiner Not.« Er war nunmehr der Länder satt,Wo man so viele Kreuze hatUnd man für lauter Kreuz und ChristIhn eben und sein Kreuz vergißt.Er trat in ein benachbart Land;Wo er sich nur als Kirchfahn fand,Man aber sonst nicht merkte sehr,Als ob ein Gott im Lande wär.Wie man ihn denn auch bald beteuert,Aller Sauerteig sei hier ausgescheuert,Befurcht er, daß das Brot so liebWie ein Matzkuchen sitzen blieb.Davon sprach ihm ein geistlich Schaf,Das er auf hohem Wege traf,Das eine mackliche Frau im Bett,Viel Kinder und viel Zehnden hätt.Der also Gott ließ im Himmel ruhnUnd sich auch was zugute tun. Unser Herr fühlt’ ihm auf den Zahn,Fing etlichmal von Christo an;Da war der ganze Mensch Respekt,Hätte fast nie das Haupt bedeckt.Aber der Herr sah ziemlich klar,Daß er drum nicht im Herzen war,Daß er dem Mann im Hirne standAls wie ein Holzschnitt an der Wand.Sie waren bald der Stadt so nah,Daß man die Türme klärlich sah.Ach, sprach der Mann, hier ist der Ort,Aller Wünsche sichrer Friedensport,Hier ist des Landes Mittelthron;Gerechtigkeit und ReligionSpedieren, wie der SelzerbrunnPetschiert, ihren Einfluß ringsherum. Sie kamen immer näher an,Sah immer der Herr nichts Seinigs dran.Sein innres Zutraun war gering,Als wie er einst zum Feigbaum ging.Wollt aber doch eben weitergehnUnd ihm recht unter die Äste sehn.So kamen sie denn unters Tor; Christus kam ihnen ein Fremdling vor,Hätt ein edel Gesicht und einfach Kleid.Sprachen: Der Mann kommt gar wohl weit.Fragt’ ihn der Schreiber, wie er hieß’?Er gar demütig die Worte ließ: »Kinder, ich bin des Menschen Sohn«,Und ganz gelassen ging davon.Seine Worte hatten von jeher Kraft,Der Schreiber stande wie vergafft,Der Wache war, sie wußt nicht wie,Fragt keiner: Was bedienen Sie?Er ging grad durch und war vorbei.Da fragten sie sich überlei,Als in Rapport sies wollten tragen:Was tät der Mann Kurioses sagen?Sprach er wohl unsrer Nase Hohn?Er sagt’: er wär des Menschen Sohn!Sie dachten lang, doch auf einmalSprach ein branntweinger Korporal:Was mögt ihr euch den Kopf zerreißen!Sein Vater hat wohl Mensch geheißen. Christ sprach zu seinem Gleiter dann:»So führet mich zum Gottes-Mann,Den ihr als einen solchen kenntUnd ihn Herr Oberpfarrer nennt.« Dem Herren Pfaff das krabbeln tät,War selber nicht so hoch am Brett.Hätt so viel Häute ums Herze ring,Daß er nicht spürt’, mit wem er ging,Auch nicht einmal einer Erbse groß.Doch war er gar nicht liebelosUnd dacht: kommt alles ringsherum,Verlangt er ein Viatikum. Kamen ans Oberpfarrers Haus,Stand von uralters noch im Ganzen.Reformation hätt ihren SchmausUnd nahm den Pfaffen Hof und Haus,Um wieder Pfaffen ’nein zu pflanzen,Die nur in allem Grund der SachenMehr schwätzen, weniger Grimassen machen.Sie klopften an, sie schellten an,Weiß nicht bestimmt, was sie getan.Genug, die Köchin kam hervor,Aus der Schürz ein Krauthaupt verlor,Und sprach: Der Herr ist im Konvent,Ihr heut nicht mit ihm sprechen könnt.»Wo ist denn das Konvent?« sprach Christ.Was hilft es Euch, wenn Ihrs auch wißt,Versetzt’ die Köchin porrisch drauf,Dahin geht nicht eines jeden Lauf.»Möchts doch gern wissen!« tät er fragen.Sie hätt nicht Herz, es zu versagen,Wie er den Weg zur Weiblein-BrustVon alten Zeiten wohl noch wußt.Sie zeigt’s ihm an, und er tät gehn,Wie ihrs bald weiter werdet sehn.*Es waren, die den Vater auch gekannt;Wo sind denn die? – Eh, man hat sie verbrannt.