Dein Streben ſei, o Sohn, ein innres Gutes frei
Zu machen ſo, daß es ein aͤußres Schoͤnes ſei.
Warum ſoll gleißneriſch ein Schlechter ſich beſtreben,
Mit falſchem Scheine ſich des Guten zu umgeben,
Ein Guter aber ſich im Gegentheil befleißen,
Zu ſcheinen ſchlechter als er iſt, um nicht zu gleißen?
Durch beſſer Scheinen wird kein Schlechter beſſer werden,
Doch ungeſtraft kann ſich kein Guter ſchlecht geberden.
Wenn du mit herbem Trotz dein Gutes eigenſinnig
In dir verſchließen kannſt, ſo iſt es nicht recht innig.
Denn, waͤre voll ſein Drang, ſo braͤch’ es aus der Huͤlle,
Wie aus der Knoſpe bricht der Roſe Liebesfuͤlle.
Die Knoſpe aber, die ſich dumpf verſtockt, und wagt
Nicht aufzugehn, iſt wol im Kern vom Wurm genagt.
Drum wenn kein Wurm dich nagt des Hochmuths in der Bruſt,
So bluͤh auf unverzagt, dir und der Welt zur Luſt!
Nur nichtig iſt der Schein, doch wichtig die Erſcheinung,
Vollkommen iſt allein des Seyns und Scheins Vereinung.
Mach ein Gedicht aus dir, das dann nur iſt gelungen,
Wenn aus dem Vollgehalt die Wohlgeſtalt entſprungen.