Der Koͤnig Adler hat das weitſte Koͤnigreich,
Von allen Koͤnigen iſt ihm kein andrer gleich.
Den weiten Himmelsraum mißt er mit ſeinen Schwingen,
Und laͤßt aus ſeiner Hoͤh den Blick zur Erde dringen.
Er hat die Sonn’ im Aug’ und ſieht die Erde doch,
Das tiefſte ſieht er klar, er ſchwebe noch ſo hoch.
Und was am Erdengrund zur Beut’ ihm mag gefallen,
Er kommt, er faßts und traͤgts empor in ſeinen Krallen.
Auf ſeinem Baume ſitzt der Weih und lauert ſtill,
Was ihm zum Raube da voruͤber kommen will.
Der Adler aber fliegt, es ſteht die Wahl ihm frei,
Nicht was vorbei ihm kommt, er holt es ſelbſt herbei.
Der Eule iſt die Nacht zur Jagdzeit angewieſen,
Der Mondſchein iſt ihr Freund, ſie jagt nicht ohne dieſen.
Die Bloͤde ſieht bei Nacht, doch gar nicht hell genung,
Und recht im Zwielicht nur zweideut’ger Daͤmmerung.
Drum wenn der Mond nicht ſcheint, kann ſie bei Nacht nicht jagen,
Und jagt zwei Stuͤndchen nur im Spaͤtlicht und vorm Tagen.
Der Adler aber ſchwingt ſich mit der Sonnen auf,
Und ſtellt auch ſeinen Flug nur ein mit ihrem Lauf.
Fruͤh ſchaut er droben ſie, noch eh die Welt ſie ſah,
Und ſchwand ſie dieſer laͤngſt, iſt noch ihr Glanz ihm nah.
Und ſieht er ihren Glanz dann hinterm fernſten Forſt
Sich ſenken, ſenkt er ſich und ſuchet ſeinen Horſt.
Er hat zum Horſt gewaͤhlt den allerfreiſten Raum,
Auf allerhoͤchſtem Berg den allerhoͤchſten Baum.
Dort ſitzt ſein Adlerweib und bruͤtet nur zwei Eier,
Und ſie verſtoͤren darf kein Flatterer und Schreier.
Denn keine Nachbarſchaft von Vogel, Menſch und Thier
Vertraͤgt der Adler, wo er hat ſein Nachtquartier.
Er weiß aus ſeiner Naͤh die Gaͤſt’ hinwegzutreiben,
Und dieſe haben ſelbſt ſchon keine Luſt zu bleiben.
So wohnt er ungeſtoͤrt in ſeiner Einſamkeit,
Sieht von der Erde nichts und nur den Himmel weit.
Die Kraͤhe mit Gedoͤrn deckt oben ihr Gemach,
Doch nur der Himmel iſt des Adlerneſtes Dach.
Er laͤßt den Sturm der Nacht an ſich voruͤber brauſen,
Stark wird ſein ſtraͤubendes Gefieder von dem Grauſen.
Und wenn der Sturm davon ihm eine Feder weht,
Ein Jaͤger findet ſie, der fruͤh zur Jagd ausgeht.
Er darf die Feder nicht zu andern Federn legen,
Weil Adlerfedern ſelbſt den Trieb des Adlers hegen;
Und, wie der Aar hinweg die Voͤgel wehrt und treibt,
Auch ihre Federn ſein Gefieder zehrt und reibt.
Der Jaͤger macht daraus des Pfeiles Federſpiel;
Dem aarbeſchwingten Schaft waͤhlt er den Aar zum Ziel.
Der Adler in der Luft vom Pfeil getroffen ſpricht:
Nahmſt du nicht von mir ſelbſt die Kraft, du trafſt mich nicht.
Der Adler ſchuͤttelt aus der Bruſt den Pfeil, und ſchaut
Hinunter, wo fuͤr ihn gepflanzt iſt Adlerkraut.
Vom Adlerkraute heilt alsbald die Adlerwunde,
Und in die Luͤfte ſchwingt ſich wieder der Geſunde.
Und wenn er einen Kreis hat um die Welt geſchwungen,
So laͤßt er ſich aufs Neſt herab zu ſeinen Jungen.
Den beiden ſchaut er ſcharf ins Auge bis ins Mark,
Pruͤft ihre Krall’ und Schwing’, und findet beide ſtark.
Sie halten ſich am Neſt mit ſcharfen Krallen feſt,
Doch ohne Schonung ſtoͤßt der Alte ſie vom Neſt.
Denn fliegen lernt nur, wer zum Fliegen iſt gezwungen,
Wenn er zum Fliegen Kraft auch hat gleich Adlerjungen.
Ein Junges ſinkt hinab, alsob’s kein Adler ſei,
Das wird ein Jagdgenoß fuͤr Eule dort und Weih.
Das andre ſchwebet nach dem Vater voll Vertraun,
Der reißts mit ſich empor und lehrts die Sonne ſchaun.