Aus dem Talmud.
1.
Des Menſchen Sprecher ſind ſein Beutel und ſein Becher;
Der ſpricht: mild oder karg, der: nuͤchtern oder Zecher.
Der kleine Becher zeugt von großer Maͤßigkeit,
Der enge Beutel ſagt: das Sparen geht zu weit.
2.
Sieh, welchen Weg du gehſt! Zwei Wege ſtehn dir offen;
Im guten kannſt du auf des Himmels Beiſtand hoffen.
Im Boͤſen ſtellt er dir kein Hindernis entgegen,
Doch fragt von Zeit zu Zeit: Gehſt du auf guten Wegen?
3.
Von Gott kommt alles dir, Menſch, nur die Liebe nicht,
Die aus dir ſelber kommt und ſucht ſein Angeſicht.
4.
Wer ſeinen Freund beſchaͤmt, hat Menſchenblut vergoſſen,
Das Blut, das ſein Geſicht ſchamroͤthend uͤberfloſſen.
5.
Wer das fuͤr andere von Gott erfleht, was er
Selbſt noͤthig hat, dem gibt Gott ſelber es vorher.
6.
Was du verſprichſt, das halt! Gebrochenes Verſprechen
Iſt kein gethan’s, doch ein geſprochenes Verbrechen.
7.
Der Reiſevorrath iſt gering und weit die Reiſe;
Sprach, als er ſich zum Tod bereitete, der Weiſe,
Und fand, daß Alles was er hier geſtrebt im Leben,
Ihm wenig Foͤrderung fuͤr Jenſeits konnte geben.
8.
Der erſt auf vieren gieng, bis er gelernt auf zweien
Zu gehn, und gieng darauf, bis gehn er mußt’ auf dreien.
Dem alten Raͤthſel fuͤg’ ich dieſes bei: die zwei
Gehn beſſer als die vier, viel beſſer als die drei.
9.
Wo leer zur Eſſenszeit im Hauſe ſind die Toͤpfe,
Die werfen Mann und Frau einander an die Koͤpfe.
Zum Vorwurf macht ſie Mann der Frau, und Frau dem Mann;
Mit Hader ſind gefuͤllt die leeren Toͤpfe dann.
10.
Drei Menſchen auf einmal verdirbt Verlaͤumdungs-Gift!
Den der ſie ſpricht, den der ſie hoͤrt, den ſo ſie trifft.
11.
Auf gleicher Stufe wer nicht freien kann, frei’ immer
Um eine tiefer nur, um eine hoͤher nimmer.
12.
Was du hier Gutes thuſt, das iſt dort angelegt
Als Kapital, das hier dir nur die Zinſen traͤgt.
Und ſollt’ es Zinſen dir in einer Zeit nicht tragen,
So werden ſie dir nur zum Kapital geſchlagen.
13.
Wenn du dem Boͤſen Raſt einmal gegeben haſt,
Am Ende wirft den Wirth zum Haus hinaus der Gaſt.
14.
Das Feuer brennt nicht hell an einem Scheit allein;
Lerneifer zuͤndet erſt ſich an durch Lernverein.
Jemehr das Kaͤlbchen ſaugt, jemehr das Euter quillt;
Je groͤßre Lernbegier, je lieber man ſie ſtillt.
Vom Lehrer fieng ich an, vom Mitgelehrten fuhr
Ich fort zu lernen, aus lernt’ ich vom Lehrling nur.
15.
Einſt ſprach ein harter Mann, von Widerwaͤrtigkeiten
Gehaͤrtet, dieſen Spruch von zehen Haͤrtigkeiten:
Hart iſt der Berg, doch wird das Eiſen ihn durchſchneiden;
Hart iſt das Eiſen, doch das Feuer wird’s geſchmeiden.
Hart iſt das Feur, doch wird es Waſſer niederſchlagen;
Hart iſt das Waſſer, doch die Wolke wird es tragen.
Hart iſt die Wolke, doch der Wind wird ſie zerſtreuen;
Hart iſt der Wind, doch wird der Koͤrper ihn nicht ſcheuen.
Hart iſt der Koͤrper, doch wird Kummer ihn zertruͤmmern;
Hart iſt der Kummer, doch der Wein wird ihn entkuͤmmern.
Hart iſt der Wein, es wird ihn doch der Schlaf begraben;
O harter Schlaf, den wir hier auszuſchlafen haben!
16.
Zu großes Lob gereicht wol oft zu groͤßtem Tadel,
Wie jenem Knecht, an dem man ruͤhmte Wuͤrd’ und Adel.
Ich haͤtt’ ihn, ſprach der Herr, in meinen Dienſt genommen,
Allein zu einem Knecht iſt er mir zu vollkommen.
17.
Ein Reiſender iſt ſtets vor Raͤubern in Gefahr,
Leicht unter ſich in Streit von Reiſenden ein Paar.
Ein Kleeblatt Reiſender hat Gluͤck auf jedem Schritte;
Wo uneins zweie ſind, den Ausſchlag gibt der dritte.
18.
Auf alle Muͤnzen, die in ſeinem Lande ſchlaͤgt
Ein Fuͤrſt, iſt immer nur das gleiche Bild gepraͤgt.
Dagegen Gottes Kunſt iſt viel erfindungsreicher,
Verſchieden alle praͤgt ſein Stempel aus ſein gleicher.
Du nimmſt die Muͤnze, wie der Fuͤrſt ſie hat gepraͤgt;
Nimm auch den Menſchen an, der Gottes Bildnis traͤgt!
Du nimmſt die Muͤnze noch, wenn ihr Gepraͤg erliſcht;
Nimm auch den Menſchen, wenn das Bild iſt halb verwiſcht!
19.
Zu einem Manne, dem ſein Kind geſtorben war,
An dem mit Troſt umſonſt ſich muͤhte Freundeſchaar,
Sprach einer ſo zuletzt: Ein Koͤnig hatte, laut
Glaubwuͤrd’ger Kunde, zur Verwahrung anvertraut
Ein Kleinod einem Mann, und ihm fuͤr alle Stunden
Aufmerkſamkeit darauf die ſtrengſte eingebunden;
Daß es verdorben ihm nicht werde noch beſchaͤdigt,
Bis der Verantwortung die Ruͤckgab’ ihn erledigt.
Da hatte vor Verluſt, vor Schaden und Gefahren
Er Sorgen Tag und Nacht das Kleinod zu bewahren.
Und als der Eigner kam, und fordert’ es zuruͤck,
Gab er mit Freuden es und hielt es fuͤr ein Gluͤck.
So biſt geweſen du auch eines Kindes Huͤter,
Des theuerſten von Gott uns anvertrauter Guͤter.
Und daß du unverſehrt das Gut nun gabſt zuruͤck,
Halt es fuͤr Ungluͤck nicht, haͤltſt du’s auch nicht fuͤr Gluͤck.
20.
Nachrede boͤſe mag leicht Freundesbund vergiften,
Zurede gute ſchwer Feindesverſoͤhnung ſtiften.
Dort brauchſt du einem nur vom andern zuzutragen,
Was er, wenn nicht geſagt, doch haͤtte koͤnnen ſagen.
Hier wechſelweiſe mußt du jeden jedem zeigen
Geneigt zum Frieden, um zum Frieden ihn zu neigen.
So haͤufig jen’s und leicht, ſo ſchwer iſt dies und ſelten,
Doch auch verdienſtlicher iſt nichts in beiden Welten.
21.
Enterbe keinen Sohn, weil er gerathen minder;
Gerathen ſiehſt du doch von ihm villeicht die Kinder.
22.
Warum hat Gott gemacht ſo ungleich arm und reich?
Daß Gab’ und Dank erſt recht ſie mach’ einander gleich.
23.
Wie nur im eignen Hof ein Hund zu bellen wagt,
So in der Fremde ſchweigt ein trotz’ger Mann verzagt.
Macht es zu Haus dich ſtolz, daß man dich ehrend nennt;
Geh in die Fremde nur, und ſieh wer dort dich kennt!
24.
Die Jugend lernet leicht, und ſchwer das Alter, beten;
Mit Waſſer heiß, nicht kalt, iſt gut der Teig zu kneten.
25.
Wer nur fuͤr andre weiß, dem nuͤtzet nicht ſein Fleiß,
Und nicht den andern nuͤtzt, wer fuͤr ſich ſelbſt nur weiß.
Drum ſei du beides fein zu gleicher Zeit befliſſen,
Fuͤr dich zu wiſſen und zu theilen mit dein Wiſſen.
26.
Leicht iſt ſpaͤt ſchlafen gehn, und ſchwer iſt fruͤh aufſtehn;
Das kann nach Luſt, dies nach Gewoͤhnung nur geſchehn.
27.
Den Silberbecher nahm der Dieb aus einer Zelle,
Doch einen goldenen ſtellt’ er an deſſen Stelle.
So kehrt das Schickſal ein und raubet dir ein Gluͤck,
Und laͤßt ein groͤßeres, Ergebung, dir zuruͤck.
Der Silberbecher hat ins Auge Luſt gefunkelt,
Vom goldnen aber wird der Sonne Glanz verdunkelt.
28.
Es war ein reicher Mann, der in der Wuͤſte Mitten
Ein Labehaus gebaut fuͤr die des Weges ſchritten.
Und ein Verwalter war von ihm darein geſetzt,
Der jeden Durſtigen mit friſchem Trunke letzt.
Und von den Wanderern die meiſten dankbar prieſen
Den Schenker, nicht den Herrn, ders eingeſchenkt durch dieſen.
Kaum einer dachte, was er jenem ſchuldig ſei,
Und dacht’ ers, ſo vergaß er dieſen dann dabei.
Die ſchlimmſten waren doch, die ihren Trunk empfiengen,
Und ohne Dank fuͤr den und jenen weiter giengen.
Doch nicht der Reiche noch ſein Gutsverwalter ließen
Dankloſe Durſtige zu laben ſich verdrießen.
Wer iſt der reiche Mann? dort Gott der ewige,
Und ſein Verwalter hier jeder Freigebige.