Der größte Fehler in der Liebe,
O Jüngling, ist die Furchtsamkeit.
Was helfen dir die süßen Triebe
Bei einer stummen Schüchternheit?
Du liebst, und willst es doch nicht wagen.
Es deiner Schönen zu gestehn;
Was deine Lippen ihr nicht sagen,
Soll sie in deinen Augen sehn.
Im stillen trägst du deinem Kinde
Das Herz mit Ehrerbietung an,
Und wünschest, daß sie das empfinde,
Was doch dein Mund nicht sagen kann.
Du hörst nicht auf, sie hochzuachten,
Und ehrst sie durch Bescheidenheit;
Sie fühlt, und läßt dich dennoch schmachten.
Und wartet auf Beständigkeit.
Sie läßt dich in den Augen lesen,
Wieviel dir dieser Vorzug nützt;
Erst liebt sie dein bescheidnes Wesen,
Und endlich den, der es besitzt.
Ein Jahr verfliegt; o lacht des Blöden,
Was hat er denn für seine Müh?
Er darf mit ihr von Liebe reden,
Und wagt den ersten Kuß auf sie.
Ein Jahr! Und noch kein größres Glücke?
In Wahrheit! das ist lächerlich.
Warum rief er, beim ersten Blicke,
Nicht gleich! »Mein Kind, ich liebe dich!«
Da lob ich euch, ihr jungen Helden,
Ihr wißt von keiner langen Pein;
Ihr laßt euch bei der Schönen melden,
Ihr kommt, und seht, und nehmt sie ein.
Und euren Mut recht zu beseelen,
Den ihr bei eurer Liebe fühlt:
So will ich euch den Sieg erzählen,
Den einst Jesmin sehr schnell erhielt.
Ein junger Mensch, der gütigst wollte,
Daß jedes schöne Kind die Ehre haben sollte,
Von ihm geliebt, von ihm geküßt zu sein;
Jesmin, sah Sylvien, das heißt, sie nahm ihn ein.
Er sah sie in dem Fenster liegen,
Ward schnell besiegt, und schwor, sie wieder zu besiegen.
Die halbe Nacht verstrich, daß mein Jesmin nicht schlief;
Er sann auf einen Liebesbrief,
Schlug die Romane nach, und trug die hellsten Flammen
In einen Brief aus zwanzigen zusammen.
Der Brief ward fortgeschickt, und für sein bares Geld
Ward auch der Brief getreu bestellt.
Allein die Antwort will nicht kommen.
Jesmin, vom Kummer eingenommen,
Ergreift das Briefpapier, und schreibet noch einmal.
Er klagt der Schönen seine Qual,
Er redt von strengen Liebeskerzen,
Von Augensonnen, heiß an Pein,
Von Tigermilch, von diamantnen Herzen,
Und von der Hoffnung Nordlichtschein,
Und schwört, weil Sylvia durch nichts erweicht geworden,
Sich, bei Gelegenheit, aus Liebe zu ermorden.
Getrost, Jesmin! versiegle deinen Brief.
So wie das Siegelwachs am Lichte niederlief:
So wird der Schönen Herz, eh Nacht und Tag verfließen,
Von deines Briefes Glut erweicht, zerschmelzen müssen.
Der Brief wird fortgeschickt, und richtig überbracht.
Jesmin tut manch Gebet an Venus’ kleinen Knaben;
Doch folgt die Antwort nicht. Wer hätte das gedacht!
Das Mädchen muß ein Herz von Stahl und Eisen haben;
Doch welcher Baum fällt auf den ersten Hieb?
Ich zweifle nicht, die Schöne hat ihn lieb,
Und ihre Sprödigkeit ist ein verstelltes Wesen,
Um nur von ihm mehr Briefe noch zu lesen.
Wie könnte sie dem heißen Flehn
Und, da sie ihn unlängst geputzt gesehn,
Der reichen Weste widerstehn?
Ich weiß noch einen Rat, und dieser Rat wird glücken.
Durch Verse kann man sehr entzücken,
In Versen, mein Jesmin, in Versen schreib an sie;
Siegst du durch Verse nicht, Jesmin! so siegst du nie.
Er folgt. O wünscht mit mir, daß ihm die Reime fließen!
Seht, welch ein feurig Lied Jesmin zur Welt gebar!
Was konnte man auch anders schließen.
Da seine Prosa schon so hoch und feurig war?
Kaum hatte Sylvia das Heldenlied gelesen:
So kam auch schon ein Gegenbrief.
Man stellte sich vor, wie froh Jesmin gewesen,
Wie froh Jesmin der Magd entgegenlief!
Die schlaue Magd grüßt ihn galant.
Er steht und hält den Brief entzückt in seiner Hand,
Und brennet vor Begier, den Inhalt bald zu wissen,
Und kann vor Zärtlichkeit sich dennoch nicht entschließen,
Das kleine Siegel abzuziehn;
Er drückt den Brief an sich, er drückt und küsset ihn.
Die Magd kriegt ein Pistol, und schwört, ihm treu zu bleiben.
Allein was stund in diesem Schreiben,
Als es Jesmin froh auseinanderschlug?
Kein Wörtchen mehr als dies: »Mein Herr, Sie sind nicht klug!«