Melinde hatte siebzehn Jahre schon,
Fern von der Stadt, mit ihrer edeln Mutter
In froher Mittelmäßigkeit gelebt.
Ein armes Gut, so klein als ihre Wünsche,
Hielt diese zwei in seinem stillen Schooß.
Melinde, der in ihrem zarten Alter
Der Tod den Vater nahm, ward von Elviren
Hier auferzogen. Welche Hoffnungen
Las diese schon in den noch schlaffen Mienen
Des Mädchens, das um ihren Busen scherzte!
Mit welcher Sorgfalt pflegte sie die Triebe
Der Tugend, die aus ihren jungen Augen
Unschuldig lacht’, und ihren Spielen selbst
Was Edler’s gab, als andre Kinder fühlten!
Wie dich, eh’ du die niedre Erde ziertest,
Die Lieb’ in ihrem Arm, o Doris, bildete,
Ihr zärtliches einnehmend sanftes Lächeln
In deine Augen goß, und jede Neigung
In deiner Brust nach ihrem Herzen schuf;
Dich sahn die Freundinnen, dich sahn die Engel,
Und liebten dich, und segneten den Jüngling,
Den einst dein Blick die Liebe lehren sollte:
So wuchs in ihrer zärtlich edeln Mutter
Umarmung, unter liebreichweisen Lehren,
Melindens Schönheit auf. Ihr holdes Auge
Sah nie der Städte schwelgerischen Schimmer.
Kein eitler Vorwurf, keine der Geburten
Des höf’schen Prunkes und der Ueppigkeit,
Befleckten ihre unschuldsvollen Blicke.
Wie oft verweiltet ihr, wenn sie allein
Am Murmeln eines silberhellen Baches
Mit ihrem Herzen sprach, ihr leichten Sylphen,
Sie anzusehn, und gosset süße Lüfte
Mit hyacinthnen Fittigen um sie,
Und scherztet um den jugendlichen Busen?
Und wenn sie sang, floß der entzückte Bach
Harmonischer, die Nachtigallen horchten,
Und ringsum färbten sich die Blumen heller.
Noch hatte die unschuldige Melinde
Die Liebe nicht gefühlt, obgleich ihr Herz
Sich selbst im Arm der ähnlichen Gespielen
Verrieth, daß es zur unbekannten Liebe
Gebildet war, die aus der Zärtlichkeit
Der blauen Augen unbewußt entzückte.
Mit reinem Herzen sah ihr fühlend Auge
Zum Himmel auf, und jeder sanfte Schlag
Der Adern, jede Wallung ihrer Brust
War dir, o Tugend, heilig. – Doch es kam
Der Augenblick, da sie sich weiblich fühlte.
Ismene war Elvirens beste Freundin,
Zwei gleiche Seelen, die der Stand nur schied.
Ismenens Güter gränzten an das Landhaus,
Wo sich Elvire mit der Tochter aufhielt.
Melinde gab Ismenen oft Besuch;
Sie war so sicher in der Freundin Schutz,
Als in der Mutter Arm. Hier sah sie einst
Ismenens Bruder, der von Reisen kam.
Der Anblick ändert ihres ganzen Schicksals Lauf.
Gefällig, edel, witzig, und so schön
Wie den Adonis uns die Dichter schildern,
Erschien Lysander vor Melindens Augen.
Kaum sah sie ihn, als ungewohnter Schauer
Ihr Herz durchfuhr; sie schlug die schönen Augen
Verwirrt erröthend nieder, doch Lysandern
Nicht unbemerkt, der seine Stärke kannte.
O wie zerschmilzt dein weiches Herz, Melinde?
Wie hängt dein Aug’ an ihm? Wie schamhaft bebt
Dein Blick, wenn er auf seinen trifft, zurücke?
Nie ward ein Herz vollständiger erobert,
Als jetzt des Mädchens unerfahrnes Herz.
Noch stärker, doch mit minder Zärtlichkeit,
Bezaubert auch ihr Anblick den Lysander.
Solch einen Eindruck hatte nie ein Mädchen
Auf sein Gemüth gemacht. Er staunt und fühlt
Zum erstenmal sich, wider Willen, zärtlich.
Zwar hatt’ er oft geliebt, doch Zärtlichkeit
War ihm ein Wort, bei dem er eben das,
Was er bei Tugend, oder Geistermährchen,
Es war, als ob aus ihren fühlenden
Gerührten Augen, die nicht heucheln konnten,
Die Zärtlichkeit sich in sein Herz ergösse.
Doch die Gewohnheit regelloser Triebe,
Melindens Stand, der unter seinem war,
Und Hoffnung, sie auf den gewohnten Fuß,
Mit einer Wollust, die dem Lasterhaften
Chimär’sche Freiheit süßer macht, zu haben,
Besiegten bald das reinere Verlangen,
Das plötzlich in ihm aufgestiegen war.
Er faßt bei kälterm Blut den schnöden Vorsatz,
Mit ihr die Zahl der Unglückseligen,
Die er, von ihrer Unschuld angereizt,
Entehret hatte, zu vermehren.
Doch decket der Verräther mit der Miene
Der Zärtlichkeit den unverschämten Anschlag.
Sein Auge war gelehrt, der Liebe Sprache
Mit heuchlerischer Redlichkeit zu reden;
Sein Blick, sein Mund, dienstbare tiefe Seufzer,
Gehorsamten dem lasterhaften Willen.
Er sah Melinden öfters schüchtern an,
Und wenn sein Mund die Wirkung ihrer Reize,
Aus Ehrfurcht, ihr nur leise zu bekennen wagte,
Ergänzt, was er zurückzuhalten scheint,
Das schlaue Schmachten seiner feur’gen Blicke.
Die Schöne kehrte mit verwund’tem Herzen
Zurück in ihre stille Hütte, aber fand
Die Freude nicht in ihr, die sonst im Eingang
Der Kommenden entgegenlächelte.
Zum erstenmale schien sie ihr zu eng.
Schon schwang die Nacht ihr sterniges Gefieder
Um die Natur, schon lag Elvir’ im Schlummer,
Als sie, den Schlaf umsonst zu Hülfe rufend,
Mit ihrem bangen Herzen sich besprach:
»Wie ist’s mit dir? Warum entflieht die Ruhe
Aus deiner Brust, der Schlaf von deinen Augenliedern?
Was raubt der Unschuld heitre Stille dir,
Zu schwaches Herz? – O könnt’ ich es mir selbst verhehlen!
Und doch – warum verhehlen? Nicht gestehen,
Mir selbst gestehn, was nicht zu sehn, zu fühlen
Ich keine Augen haben müßte und
Kein Herz? – Wie liebenswerth Lysander ist!
Was für ein Wort ist dir entflohn? Wie rasch,
Verwegne, glaubst du deinen Augen!
Wie unvorsichtig! Kennst du denn Lysandern?
Wer bürget dir dafür, daß seine Seele
Sein Aeußres, das so viel verspricht, nicht schändet?
Und doch! Es kann nicht seyn, es ist nicht denkbar,
Daß die Natur uns so betrügen sollte,
Sie, die in ihren Werken überall
Der äußern Zierde innern Werth gesellt.
Gewiß, gewiß der Gott, der hier so prächtig wohnt,
Ist seines Tempels werth! – Strahlt Güte nicht
Und Redlichkeit aus allen seinen Zügen!
O fühltest du in deiner edeln Seele,
Was ich für dich! – Beinahe sollt’ ich es
Zu hoffen wagen! Sagte nicht sein Auge
So ehrfurchtsvoll, so schön, mir Liebe zu?
Wie zärtlich schüchtern senkt’ es sich, so oft
Sein Blick dem meinigen begegnete!
Wie glücklich wär’ ich, liebte mich Lysander!
In welcher sel’gen Einfalt lebten wir
Fern von der Welt, vergnügt mit unsrer Liebe,
In diesen Thälern, wo die freie Tugend
Sich vor der Thorheit und dem Laster einschließt!
O welche neue Hoffnungen verbreiten
Ihr glänzendes Gefieder um mich her!
O Liebe! allzu schön erscheinst du mir!
In welcher Seraphsmiene seh’ ich dich
Mir zärtlich lächeln! O wie wallt mein Herz
So gern dir zu! – O täusch’ es nicht, dieß arme,
So traulich dir entgegenwallende,
Arglose Herz mit deiner Engelsmiene!
Es ist zu schwach, mit dir in dieser lieblichen
Gestalt zu kämpfen. – Solltest du mir nur
So hold erscheinen, um auf ewig wieder
Mich zu verlassen? Schmeichelt mir vielleicht
Ein falscher Traum, wenn ich geliebt mich glaube?
Wie, wenn Lysander – kaum erträgt mein Herz
Den schrecklichen Gedanken – wenn er nicht
So gut, so edel wäre, als die Liebe ihn
Mir zeigt? Wie wenn er mit erdichteten
Empfindungen der unerfahrnen Unschuld
Nur Schlingen legen wollt’, und unter Blumen
Auf seinen Raub, wie eine Schlange lau’rte?
Wie schrecklich ist mir diese Möglichkeit!
Doch, wär’ es auch, soll doch Melinde nie
Der Tugend und der Ehre untreu werden.
Eh’ werde du, zu sehr gerührtes Herz,
Das unglücksel’ge Opfer deiner Liebe!
Eh’ müssen diese gern gefühlten Flammen
In Thränenbächen löschen, eh’ ich dich,
Gespielin meiner frommen Jugendzeit,
O Unschuld und o Liebe, dich entweihe!«
So irrte, zwischen Furcht und Hoffnung schwankend,
Das arme Kind, getäuscht von seinem Herzen,
Die ganze Nacht in fieberhaften Träumen.
Die Morgenröthe fand sie wach und sorgend,
Und Thränen glänzten in den matten Augen,
Wie Morgenthau im Schooß der Blumen glänzt.
Doch bald erheitert Aug’ und Herz sich wieder,
Da sie Lysandern sieht, und sein Gefühl
Und eine Liebe, die sie mit der ihrigen
Im Einklang glaubt, von seinen Lippen hört.
O Würdige, von einem Freund der Tugend
Geliebt zu seyn, wie hätt’st du ihn entzückt,
Wenn er in deinen wehmuthsvollen Augen
Die holde Scham der Liebe, die nicht länger
Verborgen bleiben kann, gesehen hätte?
Wie süßbegeistert hätt’ er deine Thränen
Dem schüchternen, geliebten Aug’ entküßt?
Zwar auch Lysander ward von dieser Scene
Entzückt, doch minder weil ihr Herz ihn rührte,
Als weil er seinen lüsternen Begierden
Bald Ruh’ in ihrem reinen Arm versprach;
Allein ein leichter Wind streut seine Wünsche,
So wie Melindens Hoffnung, in die Luft.
Schon waren Monate mit schnellen Schwingen
Vorbeigeflohn, da sich die beiden liebten.
Doch däuchten sie dem Mädchen, das so ganz
Der ersten, reinen Liebe sich dahin gab,
Sie däuchten ihr in ihrem Wonnetraum
Nur Tage, gleich des Paradieses Tagen.
Lysander schien ihr ihres ganzen Herzens
Vollkommen werth; auch war er’s, hätte nicht
Die Macht der zügellosen Sinnlichkeit
Ihm den Geschmack an reinern Freuden längst
Geraubt, und Unschuld ihm und Tugend als
Phantomen vorgespiegelt, denen nur
Ein Thor sich selbst und sein Vergnügen opfert.
Allein Melindens Unerfahrenheit
Vermummter Laster Mienen auszuspähen,
Die Liebe und die leichtbetrogne Unschuld,
Die alle Herzen nach dem ihren schätzt,
Erlaubt’ ihr nicht, in des Liebhabers Larve
Den häßlichen Betrüger zu entdecken,
Bis endlich, ach! zu schnell, die Stunde kam,
Die sie aus ihrem süßen Irrthum weckte.
Nacht war es, eine heitre Stille schwebte
Um die Natur, und lud Melinden ein,
In einem Lustwald, der Ismenens Garten
An ihre Wohnung schloß, umherzuirren.
Die Kunst war hier versteckt, man glaubte sie
Nicht stolz genug, die Schönheit der Natur
Erhöhn zu wollen, die sie doch erhöhte.
Die hohen Bäume hatten wie von selbst
In Gänge sich gereiht, mit duftenden
Gesträuchen und mit Lauben untermischt,
Von Geißblatt oder Rosen, die den Wandelnden
Auf ihre stillen Blumenbänke luden.
Vom Gipfel einer rauhen Felsenspitze
Stürzt sich ein Bach, und wälzt, gemächlich fallend,
Sein wallend Silber durch die ganze Gegend;
In Blumen oder Ranken eingefaßt,
Polirten Spiegeln gleich, auf deren Fläche
Der helle Mond sein zitternd Bildniß wirft.
Hier ging Melinde, wie es schien, allein;
Doch, wie sie glaubte, in der unsichtbaren,
Dem Geist, der leiser fühlt, nur merklichen
Gesellschaft ihrer himmlischen Gespielen.
Auch war die Unschuld und die holde Liebe
An ihrer Seite mit der süßen Stille,
Umgeben von Betrachtungen, wie Venus,
Wenn junge Liebesgötter um sie schweben,
Wie Hagedorn und Utz sie oft gesehen.
Die Gegend schien nicht eine ird’sche Scene,
Sie schien bezaubert, wie die Wundergärten
In die uns Dichter führen, wo die Feen
Mit leichten Füßen runde Tänze winden,
Gleich den ätherischen Gefilden,
Wohin die zärtlichste der Dichterinnen,
Der Britten Singer, oft verzücket wurde.
Lysander, welcher jeden Schritt Melindens
Sorgfältig spähte, glaubte diesen Abend
Vom Glücke selbst ihm zugeführt, und schlich
Dem Mädchen nach, das, von der holden Stille
Gelockt, in einer Laube grünem Schooß,
Auf einem Bette weicher Kräuter ruhte.
Er naht sich, unbemerkt, mit leisem Tritt.
Da lispelt ihm ein nächtlich frischer West
Die Worte zu, die das zufriedne Mädchen
In ruhiger Entzückung zu sich sprach:
»Wie süß bist du, des Herzens holde Stille,
Und ihr, die ihr sie lieblich unterbrecht,
Beliebte Schauer, angenehme Schrecken
Der hellen Nacht, der frohen Einsamkeit,
Der Schöpferin der schönsten Hoffnungen!
Wie fühlt mein Herz sich selbst und seinen Adel!
Welch eine himmlische Zufriedenheit,
O Unschuld, lächelst du in meine Seele!
Mit welcher Ruhe, frei von lüsternen
Aufwallungen der wünschenden Begierden,
Seh’ ich in euch, ihr goldnen Tage, hin,
Die mir in ihrer himmlischen Gesellschaft
Die Lieb’ entgegenbringt, die selige
Erhabne Liebe, meiner Tugenden
Beherrscherin, die Krone meiner Triebe!
Wie glücklich werd’ ich seyn, wenn einst mein Freund,
Mit mir, o Vorsicht, vor dir ausgegossen,
Dich loben wird, und dann auf unsrer Liebe
Aether’schen Schwingen zu der göttlichen
Emporgetragen, in der Schönheit Fülle
Den sterblichen und matten Reiz vergißt,
Den er an mir, vielleicht zu zärtlich, liebt!
Mit welchen Wallungen der reinsten Freude,
Wovon das schwache Bild mich schon entzückt,
Will ich alsdann in seine Arme fallen,
Und dich an seiner Brust, o Liebe, preisen!«
Lysander hört sie; hört den freien Ausbruch
Der schönsten Unschuld, die so zärtlich liebt;
Er fühlt und bebt, und die Entschließung wankt,
Die sich dem Ausgang schon entgegenfreute.
Doch bald raubt eine unglücksel’ge Stärke
Der wilden Seele den Bewegungen
Der sanften Menschlichkeit den schwachen Eindruck.
Er nähert sich, voll schmeichelnder Gedanken,
Der Grotte, wo der Liebenswürdigen
So wenig von dem nahen Unglück schwante.
»Wie weich ist jetzt ihr Herz? gewiß sie fühlt,
Fühlt deinen Einfluß, wollustathmende Natur!
Die tiefe Ruhe, die gewognen Schatten,
Die Luft von Nachtthau frisch und lieblich düftend,
Die melancholischen verliebten Lieder
Der Nachtigall, die aus der schwarzen Stille
Der Büsche klagt, – gewiß, dieß alles wirkt
Auf dein gefühlvoll Herz, gewiß es schmachtet
Nach neuer unbekannter Lust. Wie thöricht,
Wenn solch ein Glück durch meine Blödigkeit,
Vielleicht wohl unersetzlich, mir entschlüpfte!
Wie schön ist sie! Hat je die Phantasie
In ihren feurigsten Begeisterungen
Was Reizender’s gesehn, als wie du dich,
Melinde, mir in freier Anmuth zeigest?
Wen machte nicht dein Anblick kühn? Wie du
Nachlässig schön, gleich der Natur im Schlummer,
In einer Stellung ruhst, als ob dein Herz
Etwas verlangte, was die Schüchternheit
Der jungen Seele nicht zu denken wagt.«
So sagt’ der Lasterhafte bei sich selbst.
Voll wilder Freud’ und nebeltrunkner Hoffnung
Naht er sich ihr. – Sie wird ihn nicht gewahr,
Bis die bekannte Stimme sie den wachen Träumen
Des halbentschlummerten Gefühls entweckt.
Sie hört und zittert auf. Doch wie erstaunt sie,
Da sie Lysandern sieht, der wollusttrunken
Sie zu umarmen kommt. – Entsetzen, Zweifel
Und Zärtlichkeit, und Angst und Abscheu beben
Auf einmal durch ihr überraschtes Herz.
Jetzt sieht sie ihn wehmüthig zärtlich an,
Mit einem Blick, der auch dem Wildesten
Gefühl der Tugend hätte geben sollen;
Allein Lysandern gab er nichts, als was
Ihn stärker spornte, sich die Zärtlichkeit
Und die Verwirrung des zu schwachen Mädchens
(Wie er sie sich versprach) zunutz zu machen.
Er sprach mit einem Feuer, das sie schreckte,
Von ihren Reizungen, von seinen Flammen,
Von Götterwollust, von der Gunst der Nacht,
Die den Verliebten ihre Schatten leihet,
Von süßer Ohnmacht, von Entzückungen,
Und was die Wuth, der man den heil’gen Namen
Der Liebe gibt, für Schaum und Unsinn sonst
Aus lasterhaften Lippen gießen kann,
Die unerfahrne Unschuld zu betäuben.
Sie staunt und bebt, und will entfliehn, obgleich
In ihren Augen Zeugen ihrer Schwachheit
Den Rasenden zu größrer Kühnheit reizten.
Doch da er sie mit unverschämten Armen
Umschlingen will, entreißt sie sich gewaltsam;
Sein Frevel füllt ihr ganzes Herz mit Grauen,
Die Liebe stirbt auf einmal mit der Furcht.
Sie fühlt in sich die Obermacht der Tugend,
Und will mit hohem Ernst den Frevel ihm
Verweisen; doch, zu schwach ihn abzuschrecken,
Gibt ihm ihr schöner Zorn nur neuen Muth.
Der sieggewohnte Lüstling hält ihn nur
Dem Zorne gleich, der die verwegnen Finger
Des Jünglings mit beschnittnen Nägeln straft.
Jetzt sah sie keine Rettung, als mit Thränen
Und bangem Flehn sein Mitleid zu erregen.
In ängstlicher Verwirrung fällt sie ihm
Zu Fuß, und ringt die zarten Rosenarme,
Und spricht mit einer Stimm’, aus welcher Unschuld
Und Angst und Wehmuth felsenrührend tönen:
»Um dieser Thränen, um der Inbrunst willen,
Mit welcher dich mein redlich Herz geliebt;
Ach um der Hoffnung willen, der ich jetzt
Auf einmal in die bängste Nacht entstürze,
Bedenke dich, Lysander, eh’ du mich
Für meine Zärtlichkeit auf ewig elend,
Auf ewig trostlos machst! – O strafe nicht
Die Schwachheit eines unverwahrten Herzens,
Das dich für redlich wie sich selber hielt,
Mit einem Unglück, dem es tausendmal
Die schrecklichste Gestalt des Todes vorzieht.
Ach, um der Thränen willen, die ich weinte,
Da ich von überfließender Empfindung
Bewältiget, mein ganzes Herz dir zeigte,
Um der unschuldigen Entzückung willen –
Doch, ach! was red’ ich? können die dich rühren?
Du hast mich nie geliebt, du hassest mich!
Unmenschlicher! Aus was für einer Ruhe
Stahlst du dieß Herz, das, eh’ es dich gekannt,
So glücklich war! – Ach, warum sah ich dich?
O warum lehrtest du die Liebe mich,
Die Liebe, die ich nie erfahren, kennen?
War’s, nur zum Elend mein Gefühl zu schärfen?
O warum ließest du mich nicht der Stille,
Der frohen Einfalt, der ich sorgenfrei,
Gleich einem Kind, im sichern Schooße lag?
Da war ich glücklich. Keine Wünsch’ empörten
Mein heitres Herz, der Himmel war allein
Der Gegenstand der zärtlichen Begierden.
O warum mußtest du mich lieben lehren?
Die falsche Liebe, die mir Unerfahrnen
Entzückungen und Paradiese zeigte,
Und jetzt in einer Wüste mich verläßt?
Ach, lass’ dich diese Thränen, die nicht heucheln,
Ach! lass’ sie dich bewegen, eh’ sie dir
Wie Todesbäche um die Seele rauschen!
Kann mein Verderben denn dich glücklich machen?
Es kommt ein Tag, Lysander, eine Stunde,
Zuletzt ein Augenblick; ein Augenblick,
Lysander! der das Urtheil deiner Seele
Auf ewig spricht – O denke, wenn mein Flehen
Dein Herz nicht rührt, wie wird das Schreckenbild
Der jammernden, mißhandelten Melinde,
Von dir, vielleicht auf ewig, unglückselig
Und hoffnungslos gemacht, mit welchen Schrecken
Wird es im Tode deinen fliehenden
Qualvollen Geist verfolgen! O! wie würden
Die Seufzer, die du nicht geachtet hättest,
In deine Seele donnern! – Ach, Lysander,
Es ist ein Gott, es ist ein naher Richter!
Die Tugend und ihr Lohn, und die Bestrafung
Des Lasters und die Ewigkeit sind wirklich!
Der Tod wird einst der Leidenschaften Dunst
Von deinen Augen wehn; dann wird der Taumel
Der Lüste schwinden – Ach, dann wirst du sehen!
Im Thor der Ewigkeit wirst du, erschüttert
Von Seelenangst, in deine Zeit zurücksehn.
O! wie verächtlich werden dir alsdann
Die Triebe seyn, die deiner Trunkenheit
Jetzt würdig scheinen, ihnen Ehr’ und Tugend,
Und deine Seele und Melindens Unschuld
Für einen Augenblick dahinzugeben!
Bezähme dich, Lysander, flieh’ von hier,
Und lass’ die unglückselige Melinde,
Mit ihrer Unschuld, ihrem einz’gen Gut,
In unbekannter Einsamkeit, das Schicksal,
Daß sie dich sehn, daß sie dich lieben mußte,
Und ihres Hoffens Eitelkeit beweinen!
Vielleicht, daß endlich meine steten Thränen
Die traurigen, zu tief gesess’nen Bilder
Der reinen Zärtlichkeit vertilgen mögen,
Die nun mein Unglück ist! – Und du, vergiß,
Vergiß die thränenwürdige Melinde,
Vergiß, wie redlich dich das zärtlichste
Der Herzen liebte; und, wenn’s möglich ist,
Vergiß auch die barbarische Belohnung,
Die du der treusten Liebe zugedacht.«
So sprach sie, und es strahlt’ aus ihren Augen
Durch Thränenwolken eine stille Hoheit,
Die den Verbrecher schreckt’. Er steht bestürzt,
Von Scham betäubt, den Blick auf sie geheftet,
Und fühlt der Tugend Göttlichkeit, und fühlt
Die Niedrigkeit des schmacherfüllten Lasters.
Doch eh’ er aus der schütternden Verwirrung
Sich sammeln konnte, war Melind’ entflohen.
Er ruft ihr thränend nach; umsonst. Sie eilt
Der sichern Einsamkeit der Hütte zu,
Die ihre Thränen unverräthrisch aufnimmt.
Lysander, tiefgerührt von dieser Scene,
Von ihrem Reiz, den die erhabne Tugend
Verehrungswürdig macht, und von der Rede,
Die ihn mit ihren ängstlichen Accenten,
Stets wo er war, umtönte, wollte zwar,
Den Frevel auszulöschen, dessen Bild
Ihn stets verfolgte, sie zur Gattin wählen.
Allein Melinde hört ihn nicht; umsonst
Bemüht sich seine Schwester, sie zu rühren;
Vergeblich fleht er zu Melindens Füßen;
Von Thränen und von Gründen unbewegt,
Beschloß sie ihrer Tage Ueberrest
In einer Zelle den Betrachtungen
Der Ewigkeit zu leben, und die Triebe
Der reinsten Brust dem Himmel nur zu weihen.