In einem Hain, der einer Wildniß glich
Und nah’ am Meer ein kleines Gut begrenzte,
Ging Phanias mit seinem Gram und sich
Allein umher; der Abendwind durchstrich
Sein fliegend Haar, das keine Ros’ umkränzte;
Verdrossenheit und Trübsinn mahlte sich
In Blick und Gang und Stellung sichtbarlich;
Ein Mantel, so entfasert, abgefärbt
Und ausgenutzt, daß es Verdacht erweckte,
Er hätte den, der einst den Krates deckte,
Gedankenvoll, mit halb geschloßnen Blicken,
Den Kopf gesenkt, die Hände auf den Rücken,
Ging er daher. Verwandelt wie er war,
Mit langem Bart und ungeschmücktem Haar,
Mit finstrer Stirn, in Cynischem Gewand
Wer hätt’ in ihm den Phanias erkannt,
Der kürzlich noch von Grazien und Scherzen
Umflattert war, den Sieger aller Herzen,
Der an Geschmack und Aufwand keinem wich,
Beym muntern Fest, in durchgescherzten Nächten,
Dem Komus bald, und bald dem Amor glich?
Ermüdet wirft er sich auf einen Rasen nieder,
Sieht ungerührt die reitzende Natur
So schön in ihrer Einfalt! hört die Lieder
Der Nachtigall, doch mit den Ohren nur.
Ihr zärtlicher Gesang sagt seinem Herzen nichts;
Denn ihn beraubt des Grams umschattendes Gefieder
Des innern Ohrs, des geistigen Gesichts.
Empfindungslos, wie einer der Medusen
Erblickt und starrt, erwägt er zweifelsvoll
Nicht, wie vordem, wofür er seufzen soll,
Für welchen Mund, für welchen schönen Busen?
Nein, Phanias spricht jetzt der Thorheit Hohn,
Und ruft, seitdem aus seinem hohlen Beutel
Die letzte Drachme flog, wie König Salomon:
Was unterm Monde liegt, ist eitel!
Ja wohl, vergänglich ist und flüchtiger als Wind
Der Schönen Gunst, die Brudertreu der Zecher;
So bald nicht mehr der goldne Regen rinnt,
Ist keine Danae, sobald im trocknen Becher
Der Wein versiegt, ist kein Patroklus mehr.
Was Fliegen lockt, das lockt auch Freunde her;
Gold zieht magnetischer, als Schönheit, Witz und Jugend:
Ist eure Hand, ist eure Tafel leer,
So flieht der Näscher Schwarm, und Lais spricht von Tugend.
Der großen Wahrheit voll, daß alles eitel sey
Womit der Mensch in seinen Frühlingsjahren,
Berauscht von süßer Raserey,
Leichtsinnig, lüstern rasch und unerfahren,
In seinem Paradies von Rosen und Schasmin
Ein kleiner Gott sich dünkt, setzt Phanias, der Weise,
Wie Herkules, sich auf den Scheidweg hin,
(Nur schon zu spät) und sinnt der schweren Reise
Des Lebens nach. Was soll, was kann er thun?
Es ist so süß, auf Flaum und Rosenblättern
Im Arm der Wollust sich vergöttern,
Und nur vom Übermaß der Freuden auszuruhn!
Es ist so unbequem, den Dornenpfad zu klettern!
Was thätet ihr? — Hier ist, wie vielen däucht,
Das Wählen schwer! dem Phanias war’s leicht.
Er sieht die schöne Ungetreue,
Die Wollust — schön, er fühlt’s! — doch nicht mehr schön für ihn —
Zu jüngern Günstlingen aus seinen Armen fliehn;
Die Scherze mit den Amorinen fliehn
Der Göttin nach, verlassen lachend ihn,
Und schicken ihm zum Zeitvertreib die Reue:
Hingegen winken ihm aus ihrem Heiligthum
Die Tugend, und ihr Sohn, der Ruhm,
Und zeigen ihm den edlen Weg der Ehren.
Der neue Herkules schickt seufzend einen Blick
Den schon Entfloh’nen nach, ob sie nicht wiederkehren:
Sie kehren, leider! nicht zurück,
Und nun entschließt er sich der Helden Zahl zu mehren!
Der Helden Zahl? — Hier steht er wieder an;
Der kühne Vorsatz bleibt in neuen Zweifeln schweben.
Zwar ist es schön, auf lorbervoller Bahn
Zum Rang der Göttlichen die in der Nachwelt leben,
Zu einem Platz im Sternenplan
Und im Plutarch, sich zu erheben;
Schön, sich der trägen Ruh entziehn,
Gefahren suchen; keine fliehn,
Auf edle Abenteuer ziehn,
Und die gerochne Welt mit Riesenblute färben;
Schön, süß sogar — zum mindsten singet so
Süß ist’s, und ehrenvoll fürs Vaterland zu sterben,
Doch auch die Weisheit kann Unsterblichkeit erwerben!
Wie prächtig klingt’s, den fesselfreyen Geist
Im reinsten Quell des Lichts von seinen Flecken waschen,
Die Wahrheit, die sich sonst nie ohne Schleier weist,
(Nie, oder Göttern nur) entkleidet überraschen;
Der Schöpfung Grundriß übersehn,
Der Sphären mystischen verworrnen Tanz verstehn,
Vermuthungen auf stolze Schlüsse häufen,
Und bis ins Reich der reinen Geister streifen:
Wie glorreich! welche Lust! — Nennt immer Den beglückt
Und frey und groß, den Mann der nie gezittert,
Den der Trompete Ruf zur wilden Schlacht entzückt,
Der lächelnd sieht was Menschen sonst erschüttert
Und selbst den Tod, der ihn mit Lorbern schmückt,
Wie eine Braut an seinen Busen drückt:
Viel größer, glücklicher ist Der mit Recht zu nennen,
Den, von Minervens Schild bedeckt,
Kein nächtliches Phantom, kein Aberglaube schreckt;
Den Flammen, die auf Leinwand brennen,
Und Styx und Acheron nicht blässer machen können;
Der ohne Furcht Kometen brennen sieht,
Die hohen Götter nicht mit Taschenspiel bemüht,
Und, weil kein Wahn die Augen ihm verbindet,
Stets die Natur sich gleich, stets regelmäßig findet.
War Philipps Sohn ein Held, der sich der Lust entzog
Und auf zertrümmerten Tyrannen
Von Sieg zu Sieg bis an den Indus flog?
Sein wälzender Triumph zermalmte tausend Städte,
Zertrat die halbe Welt — warum? laßt’s ihn gestehn!
»Damit der Pöbel von Athen
Um wie viel mehr, als solch ein Weltbezwinger,
Ist Der ein Held, ein Halbgott, kaum geringer
Als Jupiter, der tugendhaft zu seyn
Sich kühn entschließt; dem Lust kein Gut, und Pein
Kein Übel ist; zu groß, sich zu beklagen,
Zu weise, sich zu freu’n; der jede Leidenschaft
Als Sieger an der Tugend Wagen
Gefesselt hat und im Triumphe führt;
Den alles Gold der Inder nicht verführt;
Den nur sein eigener, kein fremder Beyfall rührt;
Kurz, der in Phalaris durchglühtem Stier verdärbe
Eh’ er in Phrynens Arm — ein Diadem erwärbe.
In solche schimmernde Betrachtungen vertieft
Lag Phanias, schon mehr als halb entschlossen;
Als Amor unverhofft die neue Denkart prüft,
Die Gram, Philosophie und Noth ihm eingegossen.
Er sah, und hätte gern den Augen nicht getraut,
Die ein Gesicht, wovor ihm billig graut,
Zu sehn sich nicht erwehren können.
Die Götter werden ihm den Ruhm doch nicht mißgönnen,
Ein Xenokrat zu seyn? Was hilft Entschlossenheit?
Im Augenblick der uns Minerven weiht
Kommt Cytherea selbst zur ungelegnen Zeit.
Zwar diese war es nicht: doch hätte
Die Schöne, welche kam, vielleicht sich vor der Wette,
Die Pallas einst verlor, gleich wenig sich gescheut.
Schön, wenn der Schleier bloß ihr schwarzes Aug’ entdeckte,
Noch schöner, wenn er nichts versteckte;
Gefallend, wenn sie schwieg, bezaubernd, wenn sie sprach:
Dann hätt’ ihr Witz auch Wangen ohne Rosen
Beliebt gemacht; ein Witz, dem’s nie an Reitz gebrach,
Zu stechen oder liebzukosen
Gleich aufgelegt, doch lächelnd wenn er stach
Und ohne Gift. Nie sahe man die Musen
Und Grazien in einem schönern Bund,
Nie scherzte die Vernunft aus einem schönern Mund;
Und Amor nie um einen schönern Busen.
So war, die ihm erschien, so war Musarion.
Sagt, Freunde, wenn mit einer solchen Miene
Im wildsten Hain ein Mädchen euch erschiene,
Die Hand aufs Herz! sagt, liefet ihr davon?
»So lief denn Phanias?« — Das konntet ihr errathen!
Er that was Wenige in seinem Falle thaten,
Allein, was jeder soll, der sicher gehen will.
Er sprang vom Boden auf, und — hielt ein wenig still,
Um recht gewiß zu sehn was ihm sein Auge sagte;
Und da er sah, es sey Musarion,
So lief er euch — der weise Mann! — davon
»Du fliehest, Phanias?« ruft sie ihm lachend nach:
»Erkennest mich und fliehst? Gut, fliehe nur, du Spröder!
Dein Kaltsinn macht Musarion nicht blöder;
Du schmeichelst dir doch wohl, sie sey so schwach
Dir nachzufliehn?« — Durch ungebahnte Pfade
Wand er wie eine Schlange sich:
So schlüpft die keusche Oreade
Dem Satyr aus der Hand, der sie im Bad erschlich.
Die Schöne folgt mit leichten Zephyrfüßen,
Doch ohne Hast; denn (dachte sie) am Strand
Wohin er flieht, wird er wohl halten müssen.
Es war ihr Glück, daß sich kein Nachen fand;
Denn, der Versuchung zu entgehen,
Was thät’ ein Weiser nicht? Doch da er keinen fand,
Wohin entfliehn? — Es ist um ihn geschehen
Wenn ihn sein Kopf verläßt! — Seyd unbesorgt! er blieb
Am Ufer ganz gelassen stehen,
Sah vor sich hin, schwang seinen Stab, beschrieb
Figuren in den Sand, als ob er überdächte
Wie viele Körner wohl der Erdball fassen möchte;
Kurz, that als säh’ er nichts, und wandte sich nicht um.
»Vortrefflich!« rief sie aus, »das nenn’ ich Heldenthum
Und etwas mehr! Die alte Ordnung wollte,
Daß Daphne jüngferlich mit kurzen Schritten fliehn,
Apollo keuchend folgen sollte;
Du kehrst es um. — Fliehst du, mich nachzuziehn?
Den kleinen Stolz will ich dir gerne gönnen!«
»Du irrest dich«, antwortet unser Held
Mit Mienen, welche nicht, wie sehr sie ihm misfällt,
Verbergen wollen oder können:
»Ein rascher meilenbreiter Spalt,
Der plötzlich zwischen uns den Boden gähnen machte,
Ist alles, glaube mir, wornach ich sehnlich schmachte,
Seitdem ich dich erblickt.« — »Der Gruß ist etwas kalt«,
Erwiedert sie: du denkest, wie ich sehe,
Die Reihe sey nunmehr an dir,
Und weichst zurück so wie ich vorwärts gehe.
Doch spiele nicht den Grausamen mit mir!
Was willst du mehr, als daß ich dir gestehe
Du zürnst mit Recht? Ja, ich mißkannte dich:
Doch, war ich damahls mein? Jetzt bin ich, was du mich,
Zu seyn, so oft zu meinen Füßen batest.«
»Wie, (unterbrach er sie) du, die mit kaltem Blut
Mein zärtlich Herz mit Füßen tratest,
Mich lächelnd leiden sahst — du hast den Übermuth
Und suchst mich auf, mich noch durch Spott zu quälen?
Zwey Jahre liebt’ ich dich, Undankbare, so schön,
Wie keine Sterbliche sich je geliebt gesehn.
Dein Blick, dein Athem schien allein mich zu beseelen,
Thor, der ich war! von einem Blick entzückt
Der sich an mir für Nebenbuhler übte;
Durch falsche Hoffnungen berückt,
Womit mein krankes Herz getäuscht zu werden liebte!
Du botst verführerisch das süße Gift mir dar,
Und machtest dann mit einem andern wahr
Was dein Sirenenmund mir zugelächelt hatte.
Und, o! mit wem? — Dieß brachte mich zur Wuth!
(Nur der Gedank’ empört noch itzt mein Blut)
Ein Knabe war’s, — erröthe nicht, gestatte
Daß ich ihn mahlen darf, — gelblockig, zephyrlich,
Ein bunter Schmetterling, so glatt wie eine Schlange,
Mit Gänseflaum ums Kinn, mit rothgeschminkter Wange,
Ein Ding, das einer Puppe glich,
Wie kleine Töchterchen mit sich zu Bette nehmen:
Dem gabst du, ohne dich zu schämen,
Den Busen preis, um den der Hirt von Ilion
Helenen untreu worden wäre;
Dieß Äffchen machte den Adon
Der Nebenbuhlerin der Göttin von Cythere.
Und Phanias, indeß so ein Insekt
Auf deinen Rosen kriecht, liegt Nächte durch gestreckt,
Mit Thränen, die den May von seinen Wangen ätzen,
Die Schwelle deiner Thür, Undankbare, zu netzen!
Nein! Der versöhnt sich nie, der so beleidigt ward!
Hinweg! die Luft, in der du Athem ziehest,
Ist Pest für mich — Verlaß mich! du bemühest
Dich fruchtlos! unsre Denkungsart
Stimmt minder überein als ehmahls unsre Herzen.«
»Mich däucht (erwiedert sie) du rächest dich zu hart
Für selbst gemachte Liebesschmerzen.
Sey wahr, und sprich, ist’s stets in unserer Gewalt
Zu lieben wie und wen wir sollen?
Oft fragt der Liebesgott uns nur nicht ob wir wollen?
Wir finden ohne Grund uns zärtlich oder kalt.
Itzt dem Apollo spröd, itzt schwach für einen Faunen.
Was weiß ich’s selbst? wer zählet Amors Launen?
Ihr, die ihr über uns so bitter euch beschwert,
Laßt euer eignes Herz für unsers Antwort geben!
Ihr bleibt oft an der Stange kleben,
Und was euch angelockt war kaum der Mühe werth.
Ein Halstuch öffnet sich, ein Ärmel fällt zurücke,
Und weg ist euer Herz! Oft braucht es nicht so viel;
Ein Lächeln fängt euch schon, ihr fallt von einem Blicke.
Ein flüchtiger Geschmack, ein Nichts, ein eitles Spiel
Der Phantasie, regiert uns oft im Wählen;
Das Schöne selbst verliert auf kurze Zeit
Den Reitz für uns; wir wissen daß wir fehlen,
Und finden Grazien bis in der Häßlichkeit.
Hat die Erfahrung, wie ich glaube,
Von dieser Wahrheit dich belehrt;
So ist mein Irrthum auch vielleicht verzeihenswerth.
Wer suchet unter einer Haube
So viel Vernunft als Zenons Bart verheißt?
Und wie? mein Freund, wenn ich sogar zu sagen
Mich untersteh’, daß wirklich mein Betragen
Für meine Klugheit mehr als wider sie beweist?
Ich schätzt’ an dir, wofür dich jeder preist,
Ein edles Herz und einen schönen Geist:
Was ich für dich empfand war auf Verdienst gegründet;
Du warst mein Freund, und fordertest nicht mehr;
Vergnügt mit einem Band das nur die Seelen bindet,
Sahst du mich Tage lang, und fandest gar nicht schwer
Mich, wenn der Abendstern dir winkte, zu verlassen,
Um an Glycerens Thür die halbe Nacht zu passen.
So ging es gut, bis dich ein Ungefähr
An einem Sommertag in eine Laube führte,
Worin die Freundin schlief, die wachend dich bisher
So ruhig ließ. Ich weiß nicht was dich rührte;
Der Schlaf nach einem Bad, wenn man allein sich meint,
Muß was verschönerndes in euern Augen haben:
Genug, du fandst an ihr sonst unerkannte Gaben
Und sie verlor den angenehmen Freund.
Nichts ahnend wacht’ ich auf; da lag zu meinen Füßen
Ein Mittelding von Faun und Liebesgott!
In dithyrambische Begeist’rung hingerissen
Was sagtest du mir nicht! was hätt’st du wagen müssen,
Hätt’ ich, der Schwärmerey die Lippen zu verschließen,
Das Mittel nicht gekannt! Ein Strom von kaltem Spott
Nahm deinem Brand die Luft. Mit triefendem Gefieder
Flog Amor zürnend fort: doch freut’ ich mich zu früh;
Denn eh’ ich mir’s versah’, so kam er seufzend wieder.
Mit Seufzen, ich gesteh’s, erobert man mich nie;
Der feierliche Schwung erhitzter Phantasie
Schlägt mir die Lebensgeister nieder.
Ich machte den Versuch, durch Fröhlichkeit und Scherz
Den Dämon, der dich plagte, zu verjagen:
Doch diese Geisterart kann keinen Scherz ertragen.
Ich änderte die Kur. Allein mein eignes Herz
Kam in Gefahr dabey; es wurde mir verdächtig;
Denn Schwärmerey steckt wie der Schnuppen an:
Man fühlt ich weiß nicht was, und eh’ man wehren kann
Ist unser Kopf des Herzens nicht mehr mächtig.
Auf meine Sicherheit bedacht
Fand ich zuletzt ich müsse mich zerstreuen.
Mir schien ein Geck dazu ganz eigentlich gemacht.
Für Schönen, die den Zwang der ernsten Liebe scheuen,
Taugt eine Puppe nur, die trillert, hüpft und lacht;
Ein bunter Thor, der tändelnd uns umflattert,
Die Zähne weißt, nie denkt, und ewig schnattert;
Der, schwülstiger je weniger er fühlt,
Von Flammen schwatzt die unser Fächer kühlt,
Und, unterdeß er sich im Spiegel selbst belächelt,
Studierte Seufzerchen mit schaler Anmuth fächelt.«
»Das alles, was du sagst, (fiel unser Timon ein)
Soll, wie es scheint, ein kleines Beyspiel seyn,
Kein Handel sey so schlimm, den nicht der Witz vertheidigt.
Nur Schade, daß die Ausflucht mehr beleidigt
Als was dadurch verbessert werden soll.
Doch, laß es seyn! mein Thorheitsmaß ist voll,
Wir wollen uns mit Zanken nicht ermüden.
Ich liebte dich; vergieb! ich war ein wenig toll:
Dir selbst gefiel ein Geck, und ich — ich bin zufrieden;
Erfreut sogar. Denn ständ’ es itzt bey mir,
Durch einen Wunsch an seinen Platz zu fliegen,
Bathyl zu seyn — um dir im Arm zu liegen;
Bey deiner Augen Macht! — ich bliebe hier.
Du hörst, ich schmeichle nicht. Genießt Ihr das Vergnügen
Durch falsche Zärtlichkeit einander zu betrügen:
Mich fängt kein Lächeln mehr! — Ich seh’ ein Blumenfeld
Mit mehr Empfindung an als eure schöne Welt:
Und wenn zum zweyten Mahl ein Weib von mir erhält,
Durch einen strengen Blick, durch ein gefällig Lachen
Mich bald zum Gott und bald zum Wurm zu machen,
Wenn ich, so klein zu seyn, noch einmal fähig bin:
Dann, holde Venus, dann verwirre meinen Sinn,
Verdamme mich zur lächerlichsten Flamme,
Und mache mich — verliebt in meine Amme.«
»Wie lange denkst du so?« versetzt Musarion;
»Der Abstich ist zu stark, den dieser neue Ton
Mit deinem ersten macht! Doch, lieber Freund, erlaube,
Ich fordre mehr Beweis, eh’ ich ein Wunder glaube.
Du, welcher ohne Lieb’ und Scherz
Vor kurzem noch kein glücklich Leben kannte;
Du, dessen leicht gerührtes Herz
Von jedem schönen Blick entbrannte,
Und der, (erröthe nicht, der Irrthum war nicht groß)
Wenn ihm Musarion die spröde Thür verschloß,
Zu Lind’rung seiner Qual — nach Tänzerinnen sandte;
Du, sprichst von kaltem Blut? du bietest Amorn Trutz?
Vermuthlich hast du dich, noch glücklicher zu leben,
In einer andern Gottheit Schutz
Und in die Brüderschaft der Fröhlichen begeben,
Die sich von Leidenschaft und Phantasie befrey’n,
Um desto ruhiger der Freude sich zu weih’n?
Du fliehst den Zwang von ernsten Liebeshändeln,
Und findest sicherer, mit Amorn nur zu tändeln;
Vermählst die Mäßigung der Lust,
Geschmack mit Unbestand, den Kuß mit Nektarzügen,
Studierst die Kunst dich immer zu vergnügen,
Genießest wenn du kannst, und leidest wenn du mußt?
Ich finde wenigstens in einem solchen Leben
Unendlichmahl mehr Wahrheit und Vernunft,
Als von der freudescheuen Zunft
Geschwollner Stoiker ein Mitglied abzugeben.
Und denkst du so, dann lächle sorgenlos
Zum Tadel von Athen, das deiner Änd’rung spottet.
Nicht, wo die schöne Welt, aus langer Weile bloß,
Zu Freuden sich zusammen rottet
An denen nur der Nahme fröhlich tönt,
Die, stets gehofft, doch niemahls kommen wollen,
Wobey man künstlich lacht und ungezwungen gähnt,
Und mitten im Genuß sich schon nach andern sehnt
Die da und dort uns gähnen machen sollen:
Nicht im Getümmel, nein, im Schooße der Natur,
Am stillen Bach, in unbelauschten Schatten,
Besuchet uns die holde Freude nur,
Und überrascht uns oft auf einer Spur,
Wo wir sie nicht vermuthet hatten.
Doch, Phanias, ist’s diese Denkungsart,
Die dich der Stadt entzog, wozu die Außenseite
Von einem Diogen? wozu ein wilder Bart?
Mich däucht, ein weiser Mann trägt sich wie andre Leute?«
»Mein Ansehn, schöne Spötterin,
Ist wie es sich zu meinem Glücke schicket.
Wie? ist dir unbekannt in welcher Lag’ ich bin?
Daß jenes Dach, von faulem Moos gedrücket,
Und so viel Land als jener Zaun umschließt,
Der ganze Rest von meinem Erbgut ist?
Was jeder weiß, kann dir allein unmöglich
Verborgen seyn: dein Scherz ist unerträglich,
Musarion, wie deine Gegenwart.
Mit wem sprichst du von einer Denkungsart,
Die von den Günstlingen des lachenden Geschickes
Das Vorrecht ist?« — »Freund, du vergissest dich:
Ein Sklave trägt die Farbe seines Glückes,
Kein edles Herz. Im Schauspiel stimmen sich
Die Flöten nach dem Ton des Stückes:
Allein ein weiser Mann denkt niemals weinerlich.
Wie, Phanias? Die Farbe deiner Seelen
Ist nur der Wiederschein der Dinge um dich her?
Und dir die Fröhlichkeit, des Lebens Reitz, zu stehlen,
Bedarf es nur ein widrig Ungefähr?
Ich weiß, mein Freund, wohin uns mißverstandne Güte,
Ein Herz, das Freude liebt, die Klugheit leicht vergißt,
Und niemand, als sich selbst, zu schaden fähig ist,
Ich weiß wohin sie bringen können.
Doch, alles recht geschätzt, gewinnst du mehr dabey
Als du verlierst. Was Thoren uns mißgönnen
Beweist nicht stets wie sehr man glücklich sey.
Das wahre Glück, das Eigenthum der Weisen,
Steht fest, indeß Fortunens Kugel rollt.
Dem Reichen muß die Pracht, die ihm der Indus zollt,
Erst, daß er glücklich sey, beweisen:
Der Weise fühlt er ist’s. Ihm schmecken schlechte Speisen
Aus Thon so gut als aus getriebnem Gold.
Wenn um ihn her die muntern Lämmer springen,
Indem er sorgenfrey in eignem Schatten sitzt,
Und Zephyrn, untermischt mit bunten Schmetterlingen,
Gemähter Wiesen Duft ihm frisch entgegen bringen,
Die Vögel um ihn her aus tausend Zweigen singen,
Und alles, was er sieht, zugleich ergetzt und nützt:
Wie leicht vergißt er da, er, der so viel besitzt,
Daß sich sein Landhaus nicht auf Marmorsäulen stützt,
Nicht Sklaven ohne Zahl in seinem Vorhof lärmen,
Und Fliegen nur, wenn er zu Tische sitzt,
Die Parasiten sind, die seinen Kohl umschwärmen!
Kein Schmeichler-Heer belagert seine Thür,
Kein Hof umschimmert ihn! — Er freue sich! dafür
Besitzt er was das jedem Midas fehlet,
Was der Monarch mit Gold zu kaufen fälschlich meint,
Was, wer es kennt, vor einer Krone wählet,
Das höchste Gut des Lebens, einen Freund.«
»Du schwärmst, Musarion! — Er, dem das Glück den Rücken
Gewiesen, einen Freund?« — »Ein Beyspiel siehst du hier«,
Erwiedert sie: mich, die von freyen Stücken
Athen verließ, dich sucht’, und da du mir
Entflohest, dir (der mütterlichen Lehren
Uneingedenk) so eifrig nachgejagt,
Wie andre meiner Art vor dir geflohen wären.
Ich dächte, das beweist, wenn einem Mann zu Ehren
Ein Mädchen — sich — und seinen Kopfputz wagt!’
»Ich weiß die Zeit — ich trug noch deine Kette —
(Hier seufzte Phanias) da, mich entzückt zu sehn,
Dich weniger gekostet hätte.
Du durftest, statt mir nachzugehn,
Dich damals nur nach Art der Nymphen sträuben,
Die gern an einem Busch im Fliehen hangen bleiben,
Mit leiser Stimme dräun und lächelnd widerstehn:
Allein, wer kann dafür, daß ungeneigte Winde
Von unsern Wünschen stets den besten Theil verwehn?
Dies ist vorbey! Jetzt, wenn es bey mir stünde,
Wünscht’ ich mir nichts als ein gelaßnes Blut.
Man nennt mich zu Athen unglücklich — doch, ich finde,
Zu etwas, wie man sagt, ist stets das Unglück gut;
Durch ein bezaubertes Gewinde
Von süßem Irrthum hat zuletzt
Die Thorheit selbst mich auf den Weg gesetzt,
Zu werden was ich schien als man mich glücklich nannte.
Gesegnet seyst du mir, Geburtstag meines Glücks!
Tag, der mich aus Athen in diese Wildniß sandte!
Nicht Phanias, der Günstling des Geschicks,
Nein, Phanias, der Nackte, der Verbannte,
Ist neidenswerth! Da war er wirklich arm,
Unglücklicher als Irus, glich dem Kranken
Der sich zu Tode tanzt, als Schmeichler, Schwarm an Schwarm,
Sein Herzensblut aus goldnen Bechern tranken:
Beym nächtlichen Gelag, an feiler Phrynen Brust,
Da war er elend, da! ein Sklave, fest gebunden
Von jeder Leidenschaft! ein Opferthier der Lust!
Wie? Der, der siebenfach von einer Schlang’ umwunden
Auf Blumen schläft und träumt er sitz’ auf einem Thron,
Der sollte glücklich seyn? — Und wenn Endymion,
(Dem Luna, daß sie ihn bequemer küssen möge,
So schöne Träume gab) durch eine Million
Von Sonnenaltern stets in süßen Träumen läge,
Und träumt’ er schmaus’ am Göttertisch
Mit Jupitern und buhle mit Göttinnen,
Ein süß betäubendes Gemisch
Von allem was ergetzt berausche seine Sinnen,
Mit Einem Wort, er schwimme wie ein Fisch
In einem Ocean von Wonne —
Sprich, wer geständ’ uns, unerröthend, ein,
Er wünsche sich Endymion zu seyn?
Diogenes, der Hund, in seiner Tonne
War glücklicher! — In unsrer eignen Brust,
Da, oder nirgends fließt die Quelle wahrer Lust,
Der Freuden, welche nie versiegen,
Des Zustands dauernder Vergnügen,
Den nichts von außen stört! Wie elend hätte mich
Ein Wechsel, der mir alles raubte
Wodurch ich mich vor diesem glücklich glaubte,
Fortunens ganzen Kram, — wie elend hätt’ er mich
Gemacht, wenn mir aus ihrer lichten Sphäre
Die Weisheit nicht zu Hülf’ erschienen wäre,
Die aus den Wolken mir die Arme reicht, zu sich
Hinauf mich zieht, und mich dahin versetzet,
Wo ihre Lieblinge, frey von Begier und Wahn,
Von keiner Lust gereitzt, von keinem Schmerz verletzet,
Sich den Olympiern und ihrer Wonne nahn.«
Hier ward der hohe Schwung, den Phanias zu nehmen
Begriffen war, gehemmt. Schon schwanden Raum und Zeit
Aus seinem Blick, schon fühlt er sich entkleidt
Vom niederziehenden Gewand der Sterblichkeit,
Schon war er halb ein Gott; — als eine Kleinigkeit
Die wir uns fast zu sagen schämen
Ihn plötzlich in die Unterwelt
Zurücke zog. — Ihr mächtigen Besieger
Der Menschlichkeit, die ihr dem Sternenfeld
Euch nahe glaubt — das Herz ist ein Betrüger!
Erkennet euer Bild in Phanias und bebt!
Der Weise, der so kühn sich zum Olymp erhebt,
Der schon so hoch empor gestiegen,
Daß er (wie Sancho dort auf Magellonens Pferd)
Die purpurnen und himmelblauen Ziegen
Und aus der Gluth, die sein Gehirn verzehrt,
Des Feuerhimmels Nähe schließet,
Ihn, der nichts Sterblich’s mehr mit seinem Blick beehrt,
Den stolzen Gast des Äthers, schießet
Musarion mit einem — Blick herab.
Doch freylich war’s ein Blick, nur jenem zu vergleichen
Den Koypel seinem Amor gab;
Der, euer Herz gewisser zu beschleichen,
Euch schalkhaft warnt, als spräch’ er: Seht ihr mich?
Ihr denkt, ich sey ein Kind voll süßer Unschuld, ich?
Verlaßt euch drauf! Seht ihr an meiner Seite
Den Köcher hier? Wenn euch zu rathen ist,
So flieht! — Und doch, was hilft die kleine Frist?
Es sey nun morgen oder heute,
Ihr habt ein Herz, und das ist meine Beute!
So, oder doch in diesem Ton,
So etwas sprach der Blick, womit Musarion
Den weisen Phanias aus seiner Fassung brachte.
Er sah, er stockt’, er schwieg; die alte Flamm’ erwachte,
Und seine Augen füllt ein unfreiwillig Naß.
Die Schöne stellte sich sie sehe nichts, und lachte
Nur innerlich. Drauf sprach sie: Phanias,
Es dämmert schon. Ich habe mich zu lange
Bey dir verweilt. Athen ist weit von hier;
In dieser Gegend kenn’ ich niemand außer dir,
Und hier im Hain, gesteh’ ich, wäre mir
Die Nacht hindurch vor Ziegenfüßlern bange.
Was ist zu thun? — Ich denk’ ich folge dir?«
»Mir? stottert Phanias: gewiß sehr viele Ehre!
Allein mein Haus ist klein« — »Und wenn es kleiner wäre,
Für eine Freundin hat die kleinste Hütte Raum.« —
Du wirst an allem Mangel haben,
Ein wenig Milch, ein Ey, und dieses kaum« —
»Mich hungert nicht.« — »Nur einen Hirtenknaben,
Dich zu bedienen« — »Nur? Es ist an Dem zu viel.
Wir wollen gehn, mein Freund! die Luft wird kühl«
»Vergieb, Musarion; ich muß dir alles sagen:
Mein Häuschen ist besetzt; ich habe seit acht Tagen
Zwey Freunde, die bey mir« — »Zwey Freunde?« — »Ja, und zwar
Die, däucht mir, nicht zu deinem Umgang taugen.« —
»Was sagst du? — Philosophen gar?
Sie haben doch noch ihre Augen?
Gut, Phanias, ich will sie kennen, ich« —
»Du scherzest.« — »Nein, mein Herr; ich hatte, wie Ihr mich
Hier seht, von ihrer Art wohl eher
Um meinen Nachttisch stehn.« — »Vergieb, ich zweifle sehr:
Der stoische Kleanth« — »O Ceres! und wer mehr?«
»Theophron, der Pythagoräer,
Sind schwerlich von so blödem Geist« —
»O Phanias, ist alles Gold was gleißt?
Allein, gesetzt, sie wären lauter Geist,
Was hindert dieß? Nur desto mehr Vergnügen!« —
»Kurz, wir sind drey, Madam, und auf den Mann
Ein kleines Ruhebett« — »Man hilft sich wie man kann;
Und können wir den Schlaf durch Schwatzen nicht betrügen?
Wir gehn, mein Lieber — deinen Arm!
Nun, Phanias? macht dir mein Antrag warm?
Man dächt’ es wäre hier wer weiß wie viel zu wagen.
Drey Weise werden mir doch wohl gewachsen seyn?
Ich fürchte nichts bey euch, und bin allein.«
Was soll er thun? — Wo Widerstreben
Vorm Untergang das Schiff nicht retten kann,
Da wird ein weiser Steuermann
Mit guter Art sich in den Wind ergeben.
Mein Phanias, der nur aus blöder Scheu
Vor seinen Mentorn sich so lange widersetzte,
Schwor, daß er seine Einsiedley
Dem Musentempel ähnlich schätzte,
Weil ihr das Glück beschieden sey,
Die liebenswürdigste der Musen zu beschatten.
Schon zeigte sich, daß ihre Reitze noch
Nicht alle Macht auf ihn verloren hatten.
Der ausgetriebne Amor kroch,
So leise, wie auf Blumenspitzen,
Aus ihren Augen in sein Herz.
Des Gottes Ankunft kündt ein fliegendes Erhitzen
Der blassen Wang’, ein wollustvoller Schmerz
Mit Thränen an, die wider seinen Willen
In runden Tropfen ihm die Augenwinkel füllen.
Er meint er athme nur, und seufzt; starrt unverwandt
(Indeß sie schwatzt und scherzt) sie an, als ob er höre,
Und hört doch nichts; drückt ihr die runde Hand,
Und denkt, indem durchs steigende Gewand
Die schöne Brust sich bläht, ob diese halbe Sphäre
Der Pythagorischen nicht vorzuziehen wäre?
Die Schöne wurde die Gefahr
Worin der Ruhm der Stoa schwebte,
Den Kampf in seiner Brust und ihren Sieg gewahr,
Und wie vergebens er der Macht entgegen strebte
Wovon (so lispelt ihr der Liebesgott ins Ohr)
Die Philosophen selbst, sie wollten
Nun oder wollten nicht, bald Zeugen werden sollten.
Sie sah, wie nach und nach sein Trübsinn sich verlor,
Und wie beredt, wie stark sein Auge sagte,
Was er sich selbst kaum zu gestehen wagte;
Allein sie fand für gut, (und that sehr klug daran)
Ihm, was sie sah, und ihrer beiden Seelen
Geheime Sympathie zur Zeit noch zu verhehlen.
Nur sah sie ihn mit solchen Blicken an,
Die er berechtigt war so günstig auszulegen
Als ihm gefiel. Allein, macht die Begier verwegen,
So macht die Liebe blöd. Er sah in ihrem Blick
Sonst jeden Reitz, nur nicht sein nahes Glück.
So langten sie, da schon die letzten Strahlen schwanden,
Bey seinem Landgut an, wo sie das weise Paar,
Von Linden die im Vorhof standen
Umduftet, unverhofft in einer Stellung fanden,
Die der Philosophie nicht allzu rühmlich war.