Den hoͤchſten Menſchenſinn, das Augenlicht zu miſſen,
Gefangen wohnend in beſtaͤnd’gen Finſterniſſen,
Iſt doch, Erfahrung ſpricht, das hoͤchſte Ungluͤck nicht,
Weil inneres erſetzt das aͤußerliche Licht.
Der blindgewordene ſieht in Erinnerungen,
Der blindgeborene wird doch vom Licht durchdrungen;
Dolmetſchen kannſt du ihm den Stral, der ihn beruͤhrt,
Daß der ein geiſtig Bild der Welt in ihm auffuͤhrt.
Im Worte wird ihm kund die Weisheit aller Weiſen,
Er kann mit Dichtermund die Wunder Gottes preiſen.
Doch dieſen andern Sinn zu miſſen, den im Ohr,
Entbehrend ewigen Weltharmonieenchor;
Verluſt, der ſchwerer ſchien, erſetzen kann auch ihn
Theilnahme doch der anſchaubaren Harmonien.
Des Menſchen Auge ſpricht dir und des Fruͤhlings Trift,
Die Sprache ſpricht dir ſelbſt in ihrem Bild, der Schrift.
Dem taubgebornen auch, und darum ſtumm geboren,
Iſt alle Faͤhigkeit der Bildung nicht verloren.
Zum handeln kannſt du ihn, zum denken auch erziehn;
Gewiß zum Dichter nur erziehſt du niemals ihn.
Wer aber blind und taub zugleich iſt uranfaͤnglich,
Der hoͤhern Menſchheit ſcheint er Menſchen unempfaͤnglich.
Gott, der ihn ſo gemacht, empfaͤnglich wird er machen
Ihn aus der Doppelnacht hier oder dort erwachen.
Wer blind und taub nur ward, kann fort das Feuer ſchuͤren
Im Innern, mag man auch nach außen es nicht ſpuͤren,
Der Muſchel gleich im Schlamm, Licht ſaugen mit Begier,
Das zu viel ſchoͤnrer Perl’ in ihm wird als in ihr.
So ſah ich einen Greis, an Aug’ und Ohr verwittert,
Von Luſtentzuͤckungen im Fruͤhlingshain durchzittert.
Der Bluͤten Duftgeruch, der Abendluͤfte Wehn,
Macht ihm den Mund voll Preis, das Aug’ in Thraͤnen ſtehn.
Er ſog, was er nicht ſah, und roch, was er nicht hoͤrte,
Und fuͤhlte Vollgenuß und Andacht ungeſtoͤrte.
So ſchoͤn iſt Gottes Welt, daß auch ein leiſes Fluͤſtern
Von ihr der Blindheit kann und Taubheit Nacht entduͤſtern.