Für Wolf Graf von KalckreuthGeschrieben am 4. und 5. November 1908 in ParisSah ich dich wirklich nie? Mir ist das Herzso schwer von dir wie von zu schwerem Anfang,den man hinausschiebt. Daß ich dich begännezu sagen, Toter der du bist; du gerne,du leidenschaftlich Toter. War das soerleichternd wie du meintest, oder wardas Nichtmehrleben doch noch weit vom Totsein?Du wähntest, besser zu besitzen dort,wo keiner Wert legt auf Besitz. Dir schien,dort drüben wärst du innen in der Landschaft,die wie ein Bild hier immer vor dir zuging,und kämst von innen her in die Geliebteund gingest hin durch alles, stark und schwingend.O daß du nun die Täuschung nicht zu langnachtrügest deinem knabenhaften Irrtum.Daß du, gelöst in einer Strömung Wehmutund hingerissen, halb nur bei Bewußtsein,in der Bewegung um die fernen Sternedie Freude fändest, die du von hier fortverlegt hast in das Totsein deiner Träume.Wie nahe warst du, Lieber, hier an ihr.Wie war sie hier zuhaus, die, die du meintest,die ernste Freude deiner strengen Sehnsucht.Wenn du, enttäuscht von Glücklichsein und Unglück,dich in dich wühltest und mit einer Einsichtmühsam heraufkamst, unter dem Gewichtbeinah zerbrechend deines dunkeln Fundes:da trugst du sie, sie, die du nicht erkannt hast,die Freude trugst du, deines kleinen HeilandsLast trugst du durch dein Blut und holtest über. Was hast du nicht gewartet, daß die Schwereganz unerträglich wird: da schlägt sie umund ist so schwer, weil sie so echt ist. Siehst du,dies war vielleicht dein nächster Augenblick;er rückte sich vielleicht vor deiner Türden Kranz im Haar zurecht, da du sie zuwarfst. O dieser Schlag, wie geht er durch das Weltall,wenn irgendwo vom harten, scharfen Zugwindder Ungeduld ein Offenes ins Schloß fällt.Wer kann beschwören, daß nicht in der Erdeein Sprung sich hinzieht durch gesunde Samen;wer hat erforscht, ob in gezähmten Tierennicht eine Lust zu töten geilig aufzuckt,wenn dieser Ruck ein Blitzlicht in ihr Hirn wirft.Wer kennt den Einfluß, der von unserm Handelnhinüberspringt in eine nahe Spitze,und wer begleitet ihn, wo alles leitet? Daß du zerstört hast. Daß man dies von dirwird sagen müssen bis in alle Zeiten.Und wenn ein Held bevorsteht, der den Sinn,den wir für das Gesicht der Dinge nehmen,wie eine Maske abreißt und uns rasendGesichter aufdeckt, deren Augen längstuns lautlos durch verstellte Löcher anschaun:dies ist Gesicht und wird sich nicht verwandeln:daß du zerstört hast. Blöcke lagen da,und in der Luft um sie war schon der Rhythmusvon einem Bauwerk, kaum mehr zu verhalten;du gingst herum und sahst nicht ihre Ordnung,einer verdeckte dir den andern; jederschien dir zu wurzeln, wenn du im Vorbeigehnan ihm versuchtest, ohne rechtes Zutraun,daß du ihn hübest. Und du hobst sie allein der Verzweiflung, aber nur, um siezurückzuschleudern in den klaffen Steinbruch,in den sie, ausgedehnt von deinem Herzen,nicht mehr hineingehn. Hätte eine Fraudie leichte Hand gelegt auf dieses Zornesnoch zarten Anfang; wäre einer, derbeschäftigt war, im Innersten beschäftigt,dir still begegnet, da du stumm hinausgingst,die Tat zu tun —; ja hätte nur dein Wegvorbeigeführt an einer wachen Werkstatt,wo Männer hämmern, wo der Tag sich schlichtverwirklicht; wär in deinem vollen Blicknur so viel Raum gewesen, daß das Abbildvon einem Käfer, der sich müht, hineinging,du hättest jäh bei einem hellen Einsehndie Schrift gelesen, deren Zeichen duseit deiner Kindheit langsam in dich eingrubst,von Zeit zu Zeit versuchend, ob ein Satzdabei sich bilde: ach, er schien dir sinnlos.Ich weiß; ich weiß: du lagst davor und griffstdie Rillen ab, wie man auf einem Grabsteindie Inschrift abfühlt. Was dir irgend lichtzu brennen schien, das hieltest du als Leuchtevor diese Zeile; doch die Flamme loscheh du begriffst, vielleicht von deinem Atem,vielleicht vom Zittern deiner Hand; vielleichtauch ganz von selbst, wie Flammen manchmal ausgehn.Du lasest’s nie. Wir aber wagen nicht,zu lesen durch den Schmerz und aus der Ferne.Nur den Gedichten sehn wir zu, die nochüber die Neigung deines Fühlens abwärtsdie Worte tragen, die du wähltest. Nein,nicht alle wähltest du; oft ward ein Anfangdir auferlegt als Ganzes, den du nachsprachstwie einen Auftrag. Und er schien dir traurig.Ach hättest du ihn nie von dir gehört.Dein Engel lautet jetzt noch und betontdenselben Wortlaut anders, und mir brichtderf Jubel aus bei seiner Art zu sagen,der Jubel über dich: denn dies war dein:Daß jedes Liebe wieder von dir abfiel,daß du im Sehendwerden den Verzichterkannt hast und im Tode deinen Fortschritt.Dieses war dein, du, Künstler; diese dreioffenen Formen. Sieh, hier ist der Ausgußder ersten: Raum um dein Gefühl; und daaus jener zweiten Schlag ich dir das Anschaundas nichts begehrt, des großen Künstlers Anschaun;und in der dritten, die du selbst zu frühzerbrochen hast, da kaum der erste Schußbebender Speise aus des Herzens Weißgluthineinfuhr —, war ein Tod von guter Arbeitvertieft gebildet, jener eigne Tod,der uns so nötig hat, weil wir ihn leben,und dem wir nirgends näher sind als hier. Dies alles war dein Gut und deine Freundschaft;du hast es oft geahnt; dann aber hatdas Hohle jener Formen dich geschreckt,du griffst hinein und schöpftest Leere undbeklagtest dich. — O alter Fluch der Dichter,die sich beklagen, wo sie sagen sollten,die immer urteiln über ihr Gefühlstatt es zu bilden; die noch immer meinen,was traurig ist in ihnen oder froh,das wüßten sie und dürftens im Gedichtbedauern oder rühmen. Wie die Krankengebrauchen sie die Sprache voller Wehleid,um zu beschreiben, wo es ihnen wehtut,statt hart sich in die Worte zu verwandeln,wie sich der Steinmetz einer Kathedraleverbissen umsetzt in des Steines Gleichmut. Dies war die Rettung. Hättest du nur ein Malgesehn, wie Schicksal in die Verse eingehtund nicht zurückkommt, wie es drinnen Bild wirdund nichts als Bild, nicht anders als ein Ahnherr,der dir im Rahmen, wenn du manchmal aufsiehst,zu gleichen scheint und wieder nicht zu gleichen —:du hättest ausgeharrt.Doch dies ist kleinlich,zu denken, was nicht war. Auch ist ein Scheinvon Vorwurf im Vergleich, der dich nicht trifft.Das, was geschieht, hat einen solchen Vorsprungvor unserm Meinen, dass wirs niemals einholnund nie erfahren, wie es wirklich aussah. Sei nicht beschämt, wenn dich die Toten streifen,die andern Toten, welche bis ans Endeaushielten.(Was will Ende sagen?) Tauscheden Blick mit ihnen, ruhig, wie es Brauch ist,und fürchte nicht, daß unser Trauern dichseltsam belädt, so daß du ihnen auffällst.Die grossen Worte aus den Zeiten, daGeschehn noch sichtbar war, sind nicht für uns.Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles.