Seht ihr die alte Lauenburg
Hoch auf dem Harze schimmern?
Durch Wildniß geht der Weg hindurch
Zu ihren wüsten Trümmern.
Da blühet ein Blümchen um Mitternacht,
Das schimmert in blendender Liljentracht.
Es leuchtet einen Stundenschlag
In’s finstre Thal hinunter;
Dann geht es, wie ein stiller Tag
Der Unschuld, heilig unter;
Dann ist es, als wandelten Geister dort
Um einen geweiheten Friedensort.
Und eine sanfte Lichtgestalt,
Umweht von Himmelsdüften,
schwingt sich empor, und wallt, und wallt,
Und schwindet in den Lüften.
Es wehet und säuselt, wie Ferngetön,
Herab aus den Lüften um Thal und Höhn.
Im Thal stand einst ein Hüttchen, klein,
Und grün umrankt und moosig;
Da blühte Bertha still und rein,
Ein Mägdlein, zart und rosig.
Es mochte gern über den grünen Zaun
Die spielenden Lämmer der Wiese schaun.
Der Junker jagte durch das Thal
Nach Hirschen und nach Rehen:
Da sah er früh, im Morgenstrahl,
Am Zaun das Mägdlein stehen.
„Was schaust du hier,“ sprach er, „am grünen Zaun?
Komm mit mir! dort oben ist mehr zu schaun!“
„Du sollst mein trautes Liebchen seyn,
Zu schön für eine Hütte.“ –
Doch Bertha sprach: „Das kann nicht seyn!“
Und floh in ihre Hütte.
Da fand sie die Mutter am stillen Heerd:
„Ach, Mutter der Junker hat mein begehrt.“–
„Ob auch der Junker dein begehrt:
Laß dich sein schloß nicht blenden!
Schon manche Jungfrau kam entehrt
Zurück aus seinen Händen.
O, bringe den Jammer nicht über mich!
Mein Töchterlein, säume nicht, rette dich!“ –
„Wohin, o Mutter, retten mich
Vor seinem Dienerschwarme?“
So weinte sie, und stürzte sich
Der Mutter in die Arme. –
„Ein Kloster, mein liebliches Töchterlein,
Das hüllt dich in ruhige Schatten ein.“
„Da schmücket dich mit keuschem Glanz
Die Hochgebenedeite; —
Da prangst du mit dem Myrtenkranz
Im Chor der Himmelsbräute;
Da wirst du in graulicher Mitternacht
Von schirmenden Engeln getreu bewacht.“ –
„So führ’, o Mutter, führe dann
Dein Kind zur Klosterstille,
Daß vor der bösen Welt fortan
Der schleier mich verhülle!“
Da führte die Mutter das Töchterlein
Zur stille des Klosters getrost hinein.
Und als der Junker das vernahm,
Gebot er seinen Leuten,
Das Mägdlein, das ihm still entkam,
Gewaltsam zu erbeuten.
Da wurde das Kloster wohl hart bedrängt,
Und krachend das eiserne Thor gesprengt.
Die wilden Räuber scheuten sich
Nicht vor der heilgen Stelle;
Sie rissen Bertha freventlich
Aus der geweihten Zelle.
Sie ward in der grausigen Mitternacht
Zur Lauenburg stürmend hinauf gebracht.
„Willkommen!“ rief des Junkers Spott,
Den all’ ihr Flehn nicht rührte,
„Ich nahm ja nur vom lieben Gott
Zurück, was mir gebührte.
Drum trockne nur immer dein schön Gesicht!
Es kostet das liebliche Leben nicht!“ —
„Du, Sohn Maria’s!“ rief sie laut,
„Du Gottessohn, o sende
Mir Hülf’, und rette deine Braut,
Daß keine schmach sie schändel
Ihr Lüfte des Himmels, ihr Blumen, sprecht!
O sprecht, wenn kein Rächer die Unschuld rächt!
Doch still! ich hör’ ein leises Wort;
Ich darf Erlösung hoffen.
Ein Engel kommt! ich sehe dort
Den lichten Himmel offen!“
Begeistert schon blickte sie himmelwärts,
Und leiser und leiser verstummt ihr Herz.
Entronnen aller Erdennoth,
Und aller Schmach entnommen,
Führt ihren Geist der Engel, Tod,
In’s stille Land der Frommen.
Es war eine lichte Gestalt zu sehn;
Da wollten die Räuber vor Angst vergehn.
Und wo sich Bertha’s Auge schloß,
Den Raum weiht eine Blume,
Die lichthell aus dem Boden sproß,
Zu einem Heiligthume.
Wenn die der verspätete Wandrer schaut,
Dann ruft es ihm nach, wie ein seufzerlaut.
Sie blinkt alljährlich nur ein Mal,
In nächtlich dunkler Feier,
Still, wie ein schauerlicher Strahl,
Vom öden Thurmgemäuer.
Ein Lüftchen umweht sie, das flüstert schwach
Die sterbenden Laute der Unschuld nach.
Seht hin! wo einst die Feste stand
Mit ihren stolzen Thürmen,
Trotzt öde nur noch eine Wand
Der Zeit und ihren Stürmen.
Da blühet das Blümchen um Mitternacht
Im schimmer der blendenden Liljenpracht.