ERSTER SZENE
Antigone. Der Chor.
ANTIGONE
O des Landes Thebes väterliche Stadt,
Ihr guten Geister alle, den Vätern geworden,
Also werd ich geführt und weile nicht mehr?
Seht übrig von den anderen allen
Die Königin, Thebes Herrn! welch eine
Gebühr ich leide von gebührigen Männern,
Die ich gefangen in Gottesfurcht bin.
CHOR
Der Leib auch Danaës mußte,
Statt himmlischen Lichts, in Geduld
Das eiserne Gitter haben.
Im Dunkel lag sie
In der Totenkammer, in Fesseln;
Obgleich an Geschlecht edel, o Kind!
Sie zählete dem Vater der Zeit
Die Stundenschläge, die goldnen.
Aber des Schicksals ist furchtbar die Kraft.
Der Regen nicht, der Schlachtgeist
Und der Turm nicht, und die meerumrauschten
Fliehn sie, die schwarzen Schiffe.
Und gehascht ward zornig behend Dryas’ Sohn,
Der Edonen König, in begeistertem Schimpf
Von Dionysos, von den stürzenden
Steinhaufen gedecket.
Den Wahnsinn weint’ er so fast aus,
Und den blühenden Zorn. Und kennen lernt’ er,
Im Wahnsinn tastend, den Gott mit schimpfender Zunge.
Denn stocken macht’ er die Weiber,
Des Gottes voll, und das euische Feuer,
Und die flötenliebenden
Reizt’ er, die Musen.
Bei himmelblauen Felsen aber, wo
An beiden Enden Meer ist,
Dort sind des Bosphoros Ufer
Und der Busen Salmidessos’,
Der Thraziern gehöret; daselbst sah, nahe
Der Stadt, der Schlachtgeist zu, als beiden
Phineïden ward die Wunde der Blindheit
Vom wilden Weibe gestoßen,
Und finster war’s in den mutwill’gen Augenzirkeln.
Von Speeren Stiche. Unter
Blutigen Händen und Nadelspitzen.
Und verschmachtend, die Armen weinten
Das arme Leiden der Mutter; sie hatten
Ehlosen Ursprung; jene aber war
Vom Samen der altentsprungenen
Erechtheïden.
In fernewandelnden Grotten
Ernährt ward sie, in Stürmen des Vaters, die Boreade,
Zu Rossen gesellt, auf gradem Hügel,
Der Götter Kind. Doch auch auf jener
Das große Schicksal ruhte, Kind!
Antigone wird weggeführt.
ZWEITER SZENE
Tiresias. Kreon.
TIRESIAS von einem Knaben geführt
Ihr Fürsten Thebes! miteinander kommen
Des Weges wir, durch einen beide sehend.
Wir Blinden gehen mit Wegweisern so des Weges.
KREON
Was gibt es Neues, Greis Tiresias!
TIRESIAS
Ich will es sagen, höre du den Seher.
KREON
Auch war ich sonst von deinem Sinn nicht ferne.
TIRESIAS
Drum steuerst du gerad auch mit der Stadt.
KREON
Erfahren hab ich Nützliches und zeug es.
TIRESIAS
Auch jetzt im zarten Augenblicke denke.
KREON
Was ist es denn? Furchtbar ist dieser Mund mir.
TIRESIAS
Du weißt es; hörst die Zeichen meiner Kunst.
Denn auf dem alten Stuhle, Vögel schauend,
Saß ich, wo vor mir war ein Hafen aller Vögel,
Da hört ich unbekannt von denen ein Geschrei,
Mit üblem Wüten schrien sie und wild,
Und zerrten mit den Klauen sich einander,
In Mord, das merkt ich, denn nicht unverständlich war
Der Flügel Sausen. Schnell befürchtet ich
Und kostete die Flamm, auf allentzündeten
Altären. Aber aus den Opfern leuchtet’
Hephästos nicht. Hingegen aus der Asche
Der nasse Geruch verzehrte die Hüften
Und raucht’ und wälzte sich, und hoher Zorn ward
Umhergesäet, und die benetzten Hüften
Sahn offen aus dem Fett, das sie bedeckte.
Die hab ich von dem Knaben hier erfahren,
Der zeichenlosen Orgien tödliche Erklärung.
Denn dieser ist mir Führer, andern ich.
Und dies. Nach deinem Sinn erkrankt die Stadt.
Denn die Altäre sind und Feuerstellen
Voll von dem Fraß der Vögel und des Hunds,
Vom unschicklich gefallnen Sohn des Ödipus.
Und nicht mehr nehmen auf beim Opfer das Gebet
Von uns die Götter, noch der Hüften Flamme;
Noch rauscht der Vögel wohlbedeutendes
Geschrei her, denn es hat von totem Menschenblut
Das Fett gegessen. Das bedenke nun, o Kind!
Denn allen Menschen ist’s gemein, zu fehlen.
Wenn aber einer fehlt, der Mann ist eben
Nicht ungescheut und nicht ein Unglücksel’ger,
Wenn er, gefallen in ein Übel, heilen
Sich lässet und nicht unbeweglich bleibet.
Denn Eigendünkel zeiget Grobheit an.
Weich du dem Toten und verfolge nicht
Den, der dahin ist. Welche Kraft ist das,
Zu töten Tote? Gut für dich gesinnt,
Sag ich es gut. Zu lernen ist erfreulich,
Spricht einer gut, und nützet, was er saget.
KREON
O Alter! alle, wie auf eines Schützen Ziel,
Zielt ihr auf unsereinen. Ungeschult nicht bin
Von eurer Art ich in der Seherkunst nicht;
Verkauft bin ich seit langem und betrogen.
Gewinnet! Kauft von Sardes das Elektrum,
Wenn ihr es wollt, und Gold von Indien,
Doch in dem Grabe berget ihr nicht jenen,
Nicht, wenn der Donnervogel zuckend ihn
Vor Gottes Thron als Speise tragen wollte.
Des ungeachtet laß ich, der Krankheiten nicht
Des Himmels fürchtet, nicht ein Grab dem Manne.
Gott regt kein Mensch an, dieses weiß ich.
Es fallen aber, Greis Tiresias,
Von Sterblichen auch sehr Gewaltige
Sehr wüsten Fall, wenn solche Worte sie,
Die wüst sind, schön aussprechen, Vorteils wegen.
TIRESIAS
Ach! weiß es jemand? ist’s gesprochen irgend?
KREON
Was gibt’s? was sagst du dieses Allgemeine?
TIRESIAS
Um wieviel gilt itzt mehr Gutmütigkeit als Wohlsein?
KREON
So viel, denk ich, nicht denken viel Verlust ist.
TIRESIAS
Von dieser Krankheit aber bist du voll.
KREON
Ich will dem Seher schlimm nicht widersprechen.
TIRESIAS
So sprichst du, da du sagst, ich prophezeie fälschlich.
KREON
Die Seherart liebt nämlich all das Silber.
TIRESIAS
Tyrannenart liebt schändlichen Gewinn.
KREON
Weißt du, daß Feldherrn sind, wozu du redest?
TIRESIAS
Das weiß ich. Denn durch mich erhieltest diese Stadt du.
KREON
Ein weiser Seher bist du, liebest dennoch Unrecht.
TIRESIAS
Aufregen wirst du mich, das, was noch unerschüttert
Von meinen Gedanken ist, herauszusagen.
KREON
Erschüttr es! Nur sprich Vorteils wegen nicht!
TIRESIAS
Schein ich so sehr dein Teil zu sein auch itzt noch?
KREON
Du wirst nicht täuschen meinen Sinn, das wisse!
TIRESIAS
Wiß aber du, nicht lange Zeit mehr brütest
In eifersücht’ger Sonne du von nun an;
Denn bald aus deinem Eingeweide zahlst
Du selber einen Toten für die Toten,
Für die, die du von oben warfst hinunter
Und deren Seele schmählich du im Grabe
Zu wohnen hast gesandt. Von unten hast
Auch oben einen du, den schicksallosen,
Den unbegrabenen, unheiligen Toten
Des Todesgotts, der weder dich noch obre Götter
Angehet, aber du brauchst so Gewalt.
Und darum lauern wunderlich verderblich
Im Jenseits dir die Spötter und die Richterinnen
Der Götter, also, daß da in denselben Übeln
Du troffen werdest, und betrachte das,
Ob ich das dumm von Silber spreche. Denn es kommt,
Nicht lange Zeit mehr ist’s, von Männern, Weibern
In deinen Häusern eine Weheklage.
In Mißverstand muß aber jede Stadt
Vergehen, deren Leichname zur Ruhe
Die Hund’ und wilden Tiere bringen, oder wenn
Mit Fittichen ein Vogel mit unheiligem
Geruche zum gesetzten Herd der Stadt kommt.
So steht’s mit dir. Verdrossen bist du freilich;
Als wie ein Schütze sandt ich aus dem Mute
Des Herzens Pfeile fest. Und ihrer Wärme
Entgehst du nicht! O Kind! Du aber führ uns
Hinweg ins Haus, daß dieser seinen Mut
Auslasse gegen Jüngere. Und lernen
Mag er, die Zunge stiller zu gewöhnen,
Und besser sein Gemüt gesinnt, denn’s jetzt ist.
Tiresias geht ab.
DRITTER SZENE
Der Chor. Kreon.
CHOR
Der Mann, mein König, ging viel prophezeiend,
Wir wissen aber, seit wir mit dem weißen
Das schwarze Haar vertauschet, wie du siehst,
Daß nie er Lügen in der Stadt gebrauchet.
KREON
Ich weiß es selbst und bin verwirrt im Sinn;
Denn weichen ist ein Großes. Doch wenn einer
Mit Wahn mir auf den Mut tritt, wird das schwierig.
CHOR
Es brauchet guten Rat, Kreon, Menökeus’ Sohn!
KREON
Was ist zu tun? Sag es, ich will dir folgen.
CHOR
Komm, laß die Jungfrau aus dem Felsenhause,
Und schaff ein Grab dem, welcher draußen liegt.
KREON
Du lobest dies und scheinst es gutzuheißen.
CHOR
So schnell, mein König, als es möglich ist,
Denn in die Kürze faßt den Schlimmgesinnten
Die schnellgefüßte Züchtigung der Götter.
KREON
O mir. Kaum mag ich, denn mir fehlt das Herz
Dazu, doch mit der Not ist nicht zu streiten.
CHOR
Tu nun dies. Komm. Komm nun nicht mehr auf anders.
KREON
So wie ich bin, will ich hinweggehn. Diener!
Abwesend, gegenwärtig! nimmt zur Hand
Die Beil’ und eilt zum Orte, den ihr sehet.
Ich aber, weil für die sich kehrt die Meinung,
Und ich sie selbst band, will auch selbst sie lösen.
Ich fürcht, es ist am besten, zu erhalten
Bestehendes Gesetz und so zu enden.