CHOR der thebanischen Alten
Ungeheuer ist viel. Doch nichts
Ungeheuerer als der Mensch.
Denn der, über die Nacht
Des Meers, wenn gegen den Winter wehet
Der Südwind, fähret er aus
In geflügelten sausenden Häusern.
Und der Himmlischen erhabene Erde,
Die unverderbliche, unermüdete,
Reibet er auf; mit dem strebenden Pfluge
Von Jahr zu Jahr
Treibt sein Verkehr er mit dem Rossegeschlecht,
Und leichtträumender Vögel Welt
Bestrickt er und jagt sie
Und wilder Tiere Zug
Und des Pontos salzbelebte Natur
Mit gesponnenen Netzen,
Der kundige Mann.
Und fängt mit Künsten das Wild,
Das auf Bergen übernachtet und schweift.
Und dem rauhmähnigen Rosse wirft er um
Den Nacken das Joch, und dem Berge
Bewandelnden unbezähmten Stier.
Und die Red und den luftigen
Gedanken und städtebeherrschenden Stolz
Hat erlernet er, und übelwohnender
Hügel feuchte Lüfte und
Die unglücklichen zu fliehen, die Pfeile. Allbewandert,
Unbewandert. Zu nichts kommt er.
Der Toten künftigen Ort nur
Zu fliehen weiß er nicht,
Und die Flucht unbeholfener Seuchen
Zu überdenken.
Von Weisem etwas, und das Geschickte der Kunst
Mehr, als er hoffen kann, besitzend,
Kommt einmal er auf Schlimmes, das andre zu Gutem.
Die Gesetze kränkt er, der Erd und Naturgewalt’ger
Beschwornes Gewissen;
Hochstädtisch kommt, unstädtisch
Zu nichts er, wo das Schöne
Mit ihm ist und mit Frechheit.
Nicht sei am Herde mit mir,
Noch gleichgesinnet,
Wer solches tut.
Wie Gottesversuchung aber stehet es vor mir,
Daß ich sie seh und sagen doch soll,
Das Kind sei’s nicht, Antigone.
O Unglückliche, vom unglücklichen
Vater Ödipus, was führt über dir und wohin,
Als Ungehorsam dich
Den königlichen Gesetzen,
In Unvernunft dich ergreifend?
ERSTER SZENE
Antigone. Der Bote. Der Chor. Kreon.
DER BOTE
Die ist’s. Die hat’s getan. Die griffen wir,
Da sie das Grab gemacht, doch wo ist Kreon?
CHOR
Er kommet eben da zurück vom Hause.
KREON
Was ist es? welch gemeßner Fall geht vor?
DER BOTE
Mein König, Menschen müssen nichts verschwören.
Bildung lacht aus die Meinung. Was ich sag:
Ich dachte nicht so leicht hieher zurückzukommen,
Der Drohung nach, die mich zuvor herumgestürmet.
Dem Überraschen einer Freude gleicht jedoch
In keinem Grad ein anderes Vergnügen.
Beschworen komm ich, ob ich gleich es abschwur,
Die Jungfrau bringend hier; die ward erfunden,
Wie sie das Grab geschmückt. Da ward kein Los
Geschwungen. Sondern dieser Fund ist mein
Und keines andern; nimm, o König, nun
Sie selber, wie du willst, und richt und strafe!
Ich bin mit Recht befreit von diesem Unglück.
KREON
Wie bringst du diese her? wo griffst du sie?
DER BOTE
Die hat den Mann begraben. Alles weißt du.
KREON
Weißt du und sagst auch recht, was du geredet?
DER BOTE
Begraben sah ich die den Toten, wo du es
Verboten. Hinterbring ich Klares, Deutlichs?
KREON
Und wie ward sie gesehn und schuldig funden?
DER BOTE
So war die Sache. Wie wir weggegangen
Von dir, als du Gewaltiges gedrohet,
So wischten allen Staub wir ab, der um
Den Toten, wohl den nassen Leib entblößend;
Und setzten uns auf hohen Hügel, an die Luft,
Daß er Geruch nicht von sich gebe, fürchtend.
Es regt’ ein Mann den andern auf und drohte,
Wenn einer nicht die Arbeit achten würde.
Und lange blieb es so, bis auseinanderbrechend
Der Sonne Kreis sich bückte grad herab
Vom Äther und der Brand erglühte. Plötzlich hub
Vom Boden dann ein warmer Sturm den Wirbel,
Der Himmlisches betrübt, das Feld erfüllt und reißt
Die Haare rings vom Wald des Tals, und voll ward
Davon der große Äther; wir verschlossen
Die Augen, hatten göttlich Weh, und als
Wir frei davon, in guter Zeit hernach,
So wird das Kind gesehn und weinet auf
Mit scharfer Stimme, wie ein Vogel trauert,
Wenn in dem leeren Nest verwaist von Jungen er
Das Lager sieht. So sie, da sie entblößt
Erblickt den Toten, jammerte sie laut auf
Und fluchte böse Flüche, wer’s getan,
Und bringet Staub mit beiden Händen, schnell,
Und aus dem wohlgeschlagnen Eisenkruge kränzt
Sie dreimal mit Ergießungen den Toten.
Wir, die’s gesehen, kamen, haschten sie,
Die nicht betroffen war, und klagten sie
Des Jetzigen und Schongeschehnen an.
Sie leugnet’ aber nichts mir ab und war
Lieblich zugleich und auch betrübt vor mir.
Denn daß man selbst entflieht aus Übeln, ist
Das Angenehmste. Doch ins Unglück Freunde
Zu bringen, ist betrübt. Doch dieses alles
Ist kleiner als mein eignes Heil zu nehmen.
KREON
Du also, die zur Erde neigt das Haupt,
Sagst oder leugnest du, daß du’s getan habst?
ANTIGONE
Ich sage, daß ich’s tat, und leugn es nicht.
KREON
Du, gehe du, wohin du willst, hinaus,
Von schwerer Schuld befreit; sag aber du mir,
Nicht lange, sondern kurz, ist dir bekannt,
Wie ausgerufen ward, daß solches nicht zu tun ist?
ANTIGONE
Ich wußte das. Wie nicht? Es war ja deutlich.
KREON
Was wagtest du, ein solch Gesetz zu brechen?
ANTIGONE
Darum. Mein Zeus berichtete mir’s nicht;
Noch hier im Haus das Recht der Todesgötter,
Die unter Menschen das Gesetz begrenzet;
Auch dacht ich nicht, es sei dein Ausgebot so sehr viel,
Daß eins, das sterben muß, die ungeschriebnen drüber,
Die festen Satzungen im Himmel brechen sollte.
Nicht heut und gestern nur, die leben immer,
Und niemand weiß, woher sie sind gekommen.
Drum wollt ich unter Himmlischen nicht, aus Furcht
Vor eines Manns Gedanken, Strafe wagen.
Ich wußte aber, daß ich sterben müßte.
Warum nicht? hättst du’s auch nicht kundgetan.
Wenn aber vor der Zeit ich sterbe, sag ich, daß es
Sogar Gewinn ist. Wer, wie ich, viel lebt mit Übeln,
Bekommt doch wohl im Tod ein wenig Vorteil?
So ist es mir, auf solch Schicksal zu treffen,
Betrübnis nicht; wenn meiner Mutter Toten,
Als er gestorben, ich grablos gelassen hätte,
Das würde mich betrüben. Aber das
Betrübt mich gar nicht. Bin ich aber dir,
Wie ich es tat, nun auf die Närrin kommen,
War ich dem Narren fast Narrheit ein wenig schuldig.
CHOR
Man sieht das rauh Geschlecht vom rauhen Vater
Am Kind! Allein beiseit im Übel kann’s nicht.
KREON
Doch weißt du wohl, daß allzuspröde Sprach
Am liebsten fällt. Und auch dem stärksten Eisen
Bricht und vergeht das Störrige, gekocht
Im Ofen. Alle Tage kannst du dies sehn.
Und kaum mit einem Zaume, weiß ich, daß gestellt
Die grausamweitgestreckten Rosse werden.
Nicht seine Sache ist’s, groß zu denken, dem,
Der Diener derer ist, die ihn umgeben.
Die aber findet eine Lust aus damit,
Daß sie die vorgeschriebenen Gesetze trüb macht.
Und das ist noch die zweite Frechheit, da
Sie es getan, daß dessen sie sich rühmt und lacht,
Daß sie’s getan. Nein! nun bin ich kein Mann,
Sie ein Mann aber, wenn ihr solche Kraft
Zukommet ungestraft. Doch wenn sie schon
Von meiner Schwester und Verwandtesten,
Vom ganzen Gotte meines Herdes da ist,
Dem allem ungeachtet meidet sie
Den schlimmen Tod nicht. Auch die Base nicht. Zu teuerst,
Auch diese klag ich an, wie diese da,
Daß sie gesorget, des Verscharrens wegen.
Ruft sie heraus. Denn eben sah ich drinnen
Sie wüten, nicht der Sinne mächtig. Gleich
Will ein geheimer Mut gefangen sein,
Wenn etwas nicht ist recht getan im Dunkeln.
Gewiß, das haß ich, ist auf Schlimmem einer
Ertappt, wenn er daraus noch Schönes machen möchte.
ANTIGONE
Willst du denn mehr, da du mich hast, als töten?
KREON
Nichts will ich. Hab ich dies, so hab ich alles.
ANTIGONE
Was soll’s also? Von deinen Worten keins
Ist mir gefällig, kann niemals gefällig werden.
Drum sind die meinigen auch dir mißfällig.
Obwohl, woher hätt ich wohllautenderen Ruhm,
Als wenn ich in das Grab den Bruder lege.
Denn daß es wohlgefall all diesen da,
Gestände, sperrete die Zunge nur die Furcht nicht.
Das Königtum ist aber überall
Geistreich und tut und sagt, was ihm beliebet.
KREON
Siehst du allein dies von den Kadmiern?
ANTIGONE
Auch diese sehn’s, doch halten sie das Maul dir.
KREON
Schämst du dich nicht, die ungefragt zu deuten?
ANTIGONE
Man ehrt doch wohl die Menschen eines Fleisches.
KREON
Und eines Bluts noch auch ist, der fürs Land gestorben.
ANTIGONE
Eins Blutes. Kind eins einigen Geschlechtes.
KREON
Und du bringst doch Gottlosen einen Dank?
ANTIGONE
Das läßt gewiß nicht gelten der Entschlafne.
KREON
Freilich. Wenn dir als eins Gottloses gilt und anders.
ANTIGONE
Nicht in des Knechtes Werk, ein Bruder ist er weiter.
KREON
Verderbt hat der das Land; der ist dafür gestanden.
ANTIGONE
Dennoch hat solch Gesetz die Totenwelt gern.
KREON
Doch Guten gleich sind Schlimme nicht zu nehmen.
ANTIGONE
Wer weiß, da kann doch drunt’ ein andrer Brauch sein.
KREON
Nie ist der Feind, auch wenn er tot ist, Freund.
ANTIGONE
Aber gewiß. Zum Hasse nicht, zur Liebe bin ich.
KREON
So geh hinunter, wenn du lieben willst,
Und liebe dort! mir herrscht kein Weib im Leben.
ZWEITER SZENE
Der Chor. Kreon. Antigone. Ismene.
CHOR
Aber jetzt kommt aus dem Tor Ismene,
Friedlich, schwesterliche Tränen vergießend.
Ein Geist über den Augenbraunen das blutige
Gesicht deckt,
Waschet rege von den Schläfen die Wangen.
KREON
Ja! du! die du drin hockst, daheim, wie Schlangen,
Geborgen und mich aussaugst! hat nicht einer mir
Berichtet, daß ich zwei Einbildungen hab an mir
Und Feinde des Throns? geh, sage, hast du mitgemacht
Am Grabe, oder hast du’s mit der Unschuld?
ISMENE
Getan das Werk hab ich, wenn die mit einstimmt,
Und nehme teil. Die Schuld nehm ich auf mich.
ANTIGONE
Das wird das Recht ja aber nicht erlauben.
Du wolltest nicht. Ich nahm dich nicht dazu mit.
ISMENE
Ich schäme mich an deinem Unglück nicht
Und mache zur Gefährtin mich im Leiden.
ANTIGONE
Bei denen, die durchgängiger Weise sind
Und die Gespräche halten miteinander, drunten,
Die mit den Worten liebt, die mag ich nicht.
ISMENE
Bring so mich in Verdacht nicht, Schwester, wie als könnt
Ich sterben nie mir dir; des Grabs Unschick vergüten.
ANTIGONE
Stirb du nicht allgemein. Was dich nicht angeht,
Das mache dein nicht. Mein Tod wird genug sein.
ISMENE
Hab ich denn, wenn du weg, noch eine Lieb im Leben?
ANTIGONE
Den Kreon, liebe den. Dem weisest du den Weg ja.
ISMENE
Was plagest du mich ohne Nutzen so?
ANTIGONE
Anfechtung ist es, wenn ich dich verlache.
ISMENE
Was aber kann ich nützen dir, auch jetzt noch?
ANTIGONE
Nütz dir. Das gönn ich dir, daß du mit hingehst.
ISMENE
Ich Arme! weh! hab ich Schuld, daß du stirbst?
ANTIGONE
Dein Teil ist ja das Leben, meines Tod.
ISMENE
Doch was ich sprach zu dir, ist auch dabei doch.
ANTIGONE
Das war auch schön. Doch so wollt ich gesinnt sein.
ISMENE
Allein der Fehl ist für uns beide gleich.
ANTIGONE
Sei gutes Muts! du lebst, doch meine Seele,
Längst ist sie tot, so daß ich Toten diene.
KREON
Von diesen Weibern da, sag ich, wird eben da
Sinnlos die ein, einheimisch ist’s die andre.
ISMENE
Es bleibt kein Herz, auch nicht das heimatliche,
Im Übelstand, mein König, außer sich gerät es.
KREON
Dir, weil du schlimm mit Schlimmen dich gestellt.
ISMENE
Mir lebt nichts, wo allein ich bin, nicht die auch.
KREON
Die Red ist nicht von dieser. Die ist nimmer.
ISMENE
Du tötest aber deines Sohnes Braut.
KREON
Von anderen gefallen auch die Weiber.
ISMENE
Es schickte keine sich, wie er und sie.
KREON
Von bösen Weibern warn ich meine Söhne.
ANTIGONE
O liebster Hämon! wie entehrt er dich!
KREON
Gar lästig bist du auch, du und dein Bette.
ISMENE
Dem nimmst du sie, der deines Lebens Teil ist.
KREON
Die Höll ist da, derlei Zuwachs zu scheiden.
ISMENE
Beschlossen scheint es, daß sie sterben soll.
KREON
Für dich und mich! Umstände nimmer! bringt
Hinein, ihr Mägde, sie! Von nun an not ist,
Daß diese Weiber sei’n nicht freigelassen.
Denn Flucht ist auch der Starken Art, wenn ihnen
Der Hölle Reich aufgeht am Rand des Lebens.
Antigone und Ismene werden weggeführt.