Sein künftig Schicksal zu erfahren,
Eilt Semnon voll Begier zum delphischen Altar.
Die Gottheit weigert sich, ihm das zu offenbaren,
Was über ihn verhänget war.
Sie spricht: »Du wirst ein großes Glück genießen;
Doch wirds dein Unglück sein, sobald du es wirst wissen.«
Ist Semnons Neugier nun vergnügt?
Nichts weniger! Nur mehr wächst sein Verlangen.
»O Gottheit«, fährt er fort, »wenn Bitten dich besiegt:
So laß mich größres Licht von meinem Glück empfangen!«
So traut der Mensch, und traut zugleich auch nicht.
Ein Semnon glaubt sein Glück, nicht, weils die Gottheit saget,
Nein, weil ers schon gewünscht, eh er sie noch gefraget.
Doch glaubt er auch, wenn sie vom Unglück spricht?
O nein! Denn dieses wünscht er nicht.
Durch Klugheit denkt er schon das Unglück abzuwehren.
Kurz, Semnon läßt nicht nach, er will sein Schicksal hören.
»Du wirst«, hub das Orakel an,
»Durch deines Weibes Gunst den Zepter künftig führen,
Und Völker, die dich dienen sahn,
Dereinst durch einen Wink regieren.«
Gestärkt durch dieses Götterwort,
Eilt, der als Pilgrim kam, als Prinz in Hoffnung fort;
Mißt, ohne Land, im Geist schon seines Reiches Größen;
Und läßt schon, ohne Volk, sein Heer das Schwert entblößen.
Allein so froh er war: so war ers nicht genug;
Er weiß noch nicht, was er doch wissen wollte,
Die Zeit, in der sein Fuß den Thron besteigen sollte;
Die Ungewißheit wars, die ihn noch niederschlug.
»Und«, sprach er, »wenn ich auch nun bald den Thron bestiegen,
Wie lange währt alsdann mein königlich Vergnügen?«
Der kühne Zweifel treibt ihn an.
Zum delphischen Apoll sich noch einmal zu nahn.
»O Tor«, versetzt Apoll, »euch Sterblichen zum Glücke,
Verbarg der Götter Schluß die Zukunft eurem Blicke.
So wisse denn: In kurzer Zeit
Schmückt dich des Purpurs Herrlichkeit;
Doch raubt die Hand, die dir den Thron gegeben,
Dir mit dem Throne bald das Leben.«
Er tat darauf im Kriege sich hervor,
Und stieg, aus einem niedern Stande,
Zur höchsten Würd im Vaterlande,
Durch seine Tapferkeit empor.
Das ihm so günstige Geschicke
Erfüllte des Orakels Sinn;
Und Semnon ward, bei immer größerm Glücke,
Der Liebling seiner Königin.
Sie schenkt ihm Herz und Thron; doch ein verborgnes Schrecken
Läßt ihn das Glück der Hoheit wenig schmecken.
Sein reizendes Gemahl, das er halb liebt, halb scheut,
Erfüllt ihn halb mit Frost, und halb mit Zärtlichkeit.
Itzt wünscht er tausendmal, sein Schicksal nicht zu kennen,
Um so für sie, wie sie für ihn, zu brennen.
Sie merkt des Königs spröden Sinn,
Sie zieht ihn in Verdacht mit einer Buhlerin,
Sie gibt ihm heimlich Gift; er stirbt vor ihren Füßen.
Sagt, Menschen, ists kein Glück, sein Schicksal nicht zu wissen?