Ein Mann, den lange schon die Gliederkrankheit plagte,
Tat alles, was man ihm nur sagte,
Und konnte doch von seiner Pein
Auf keine Weise sich befrein.
Ein altes Weib, der er sein Elend klagte,
Schlug ihm geheimnisvoll ein magisch Mittel vor.
»Ihr müßt Euch«, zischt sie ihm ins Ohr,
»Auf eines Frommen Grab bei früher Sonne setzen,
Und Euch mit dem gefallnen Tau
Dreimal die Hand, dreimal den Schenkel netzen;
Es hilft, gedenkt an eine Frau.«
Der Kranke tat, was ihm die Alte sagte;
Denn sagt, was tut man nicht, ein Übel los zu sein?
Er ging zum Kirchhof hin, und zwar, sobald es tagte,
Und trat an einen Leichenstein,
Und las: »Wer dieser Mann gewesen,
Läßt, Wandrer, dich sein Grabmal lesen:
Er war das Wunder seiner Zeit,
Das Muster wahrer Frömmigkeit;
Und, daß man viel mit wenig Worten sagt,
Er ists, den Kirch und Schul, und Stadt und Land beklagt.«
Hier setzt sich der Geplagte nieder,
Benetzt die halb gelähmten Glieder;
Doch ohne Wirkung bleibt die Kur,
Sein Gliederschmerz vermehrt sich nur.
Er greift betrübt nach seinem Stabe,
Schleicht von des frommen Mannes Grabe,
Und setzt sich auf das nächste Grab,
Dem keine Schrift ein Denkmal gab;
Hier nahm sein Schmerz allmählich ab.
Er braucht sogleich sein Mittel wieder;
Schnell lebten die gelähmten Glieder,
Und, ohne Schmerz und ohne Stab,
Verließ er dieses fromme Grab.
»Ach«, rief er, »läßt kein Stein mich lesen,
Wer dieser fromme Mann gewesen?«
Der Küster kam von ungefähr herbei;
Den fragt der Mann, wer hier begraben sei?
Der Küster läßt sich lange fragen,
Als könnt ers ohne Scheu nicht sagen.
»Ach!« hub er endlich seufzend an:
»Verzeih mirs Gott! es war ein Mann,
Dem, weil er Ketzereien glaubte,
Man kaum ein ehrlich Grab erlaubte;
Ein Mann, der lose Künste trieb,
Komödien und Verse schrieb;
Er war, wie ich mit Recht behaupte,
Ein Neuling und ein Bösewicht.«
»Nein!« sprach der Mann, »das war er nicht,
So gottlos ihn die Leute schalten;
Doch jener dort, den ihr für fromm gehalten,
Von dem sein Grab so rühmlich spricht,
Der war gewiß ein Bösewicht.«