Am Himmel schwere dunkle Wolken hangen
Und harrend schon zum Walde niederlauschen.
Tiefnacht; doch weht ein süßes Frühlingsbangen
Im Wald, ein warmes, seelenvolles Rauschen.
Die blütentrunknen Lüfte schwinden, schwellen,
Und hörbar rieseln alle Lebensquellen.
O Nachtigall, du teure, rufe, singe!
Dein Wonnelied ein jedes Blatt durchdringe!
Du willst des Frühlings flüchtige Gestalten
Auch nachts in Lieb’ und Sehnsucht wach erhalten,
Daß sie, solang die holden Stunden säumen,
Vom Glücke nichts verschlafen und verträumen. —
Faust aber reitet fürder durch die Nacht,
Und hat im düstern Unmut nimmer acht
Der wunderbar bewegten Frühlingsstimmen.
Er läßt nunmehr sein Roß gelassen schlendern
Den Weg dahin an frischen Waldesrändern.
Leuchtkäfer nur, die hin und wieder glimmen,
Bedämmern ihm die Pfade manchesmal,
Und selten ein verlorner Sternenstrahl.
Je tiefer ihn die Bahn waldeinwärts führt,
Je stiller wird’s, und ferner stets verhallen
Der Bäche Lauf, das Lied der Nachtigallen,
Der Wind stets leiser an den Zweigen rührt.
Was leuchtet dort so hell zum Wald herein,
Daß Busch und Himmel glühn in Purpurschein?
Was singt so mild in feierlichen Tönen,
Als wollt’ es jedes Erdenleid versöhnen?
Das ferne, dunkle, sehnsuchtsvolle Lied
Weht süßerschütternd durch die stille Luft.
Wie einem Gläubigen, der an der Gruft
Von seinen Lieben weinend, betend kniet,
In seine hoffnungsmilden Schmerzensträume
Hinter den Gräbern flüstern die Gesänge
Der Seligen: so säuseln diese Klänge
Wohllautend durch die aufhorchsamen Bäume:
Faust hält sein Roß und lauscht gespannter Sinne,
Ob nicht der helle Schein und Klang zerrinne
Vor Blick und Ohr, ein träumerischer Trug?
Doch kommt’s heran, ein feierlicher Zug.
Da scheucht es ihn, ins Dunkel hoher Eichen
Seitab des Wegs mit seinem Roß zu weichen,
Und abzuschreiten zwingt unwiderstehlich
Der Zug ihn jetzt, der näher wallt allmählich.
Mit Fackellichtern wandelt Paar an Paar,
In weißen Kleidern, eine Kinderschar,
Zur heilig nächtlichen Johannisfeier,
In zarten Händen Blumenkränze tragend;
Jungfrauen dann, im ernsten Nonnenschleier
Freudvoll dem süßen Erdenglück entsagend;
Mit Kreuzen dann, im dunkeln Ordensrocke,
Ziehn priesterliche Greise, streng gereiht,
Gesenkten Hauptes, und in Bart und Locke
Den weißen Morgenreif der Ewigkeit.
Sie schreiten singend fort die Waldesbahnen.
Horch! wie in hellen Kinderstimmen singt
Die Lebensahnung, und zusammenklingt
Mit greiser Stimmen tiefem Todesahnen!
Horch, Faust, wie ernster Tod und heitres Leben,
In Gott verloren, hier so schön verschweben!
Er starrt hervor aus dunklem Buschesgitter,
Die Frommen um ihr Glück beneidend bitter.
Als sie vorüber, und der letzte Ton
Des immer fernern, leisern Lieds entflohn,
Und als der fernen Fackeln letzter Schein
Den Wald noch einmal zauberhell verklärt,
Und nun dahin am Laube zitternd fährt,
Als Faust im Finstern wieder steht allein:
Da faßt er fest und wild sein treues Roß,
Und drückt das Antlitz tief in seine Mähnen
Und weint an seinem Halse heiße Tränen,
Wie er noch nie so bitter sie vergoß.