Fausts Wohnung
Graf Heinrich von Isenburg und Famulus Wagner, später Faust.
Wagner
Ihr werdet nimmer ihn erkennen;
Verwandelt ist sein ganzes Wesen,
In jedem Zuge ist zu lesen,
Was ich nicht wage laut zu nennen.
Als wär’ er innerlich zerbrochen,
Wich alle Freude von ihm fort.
Der Finstre spricht oft lange Wochen
Mit mir, dem treuen Freund, kein Wort.
Es ist mit großem Herzeleide,
Wenn ich gezwungen von ihm scheide.
Er tat mich lieben und belehren,
Ich werde schwer sein Wort entbehren.
Oh, daß ein Mann von soviel Wissen
Kann sein im Herzen so zerrissen!
Isenburg
Wohl lange hat sich Faust herumgetrieben,
Bin ohne Kunde lang von ihm geblieben.
Vorüber sind zehn Jahresfluchten,
Seit ich und mein geliebter Faust
Die hohe Schule Wittenbergs besuchten
Und in der Schenke manche Nacht verbraust.
Noch steht vor mir sein herrlich Bild.
Wie war er dort so froh, so wild,
Wie war er dort der Erste stets,
Die edle Kraft nur sein Gesetz!
Wie er den alten Professoren,
Den eingeschrumpften Weisheitstoren,
Dem Auditorium zur Freude,
Die hochgetürmten Lehrgebäude,
Des Volksverstandes Burgverlies,
Leicht hauchend in die Lüfte blies!
Und wie sein Geist, voll Forschermut,
Nur nach den höchsten Sternen flog,
So war sein Herz voll edler Glut,
Der schnell die tapfre Klinge zog.
Nicht beugen konnte solchen Mann
Die Zeit, die tief mit ihrer Beute
Zu Füßen ihm vorüberrann;
Und was er war, ist er noch heute.
Und wenn ihn einst der Tod erfaßt,
Tut er’s mit zagendem Verdruß,
Wie ein Rebellenknecht erblaßt,
Der einen König morden muß.
Wagner
Und doch ist er ein andrer ganz und gar,
Als er vor wenig Monden war.
Er hat die teure Wissenschaft,
Verkennend seine eigne Kraft,
Und seine Pflichten aufgegeben;
Auf dunklen Bahnen geht sein Leben,
Wohin ich ihn nicht kann geleiten,
Will ich mein Seelenheil nicht auch verscherzen.
Mag auch die Freundschaft gegenstreiten,
Ich scheid von ihm; weiß Gott, mit schwerem Herzen.
Isenburg
Seid Ihr sein Freund, so bleibt ihm treu,
Sein finstres Wesen geht vorbei.
Wie sehn ich mich, o daß er käme!
Daß ich ihn schließ in meine Arme,
Und ihn entreiße seinem Harme,
Und Euch Kleinmütigen beschäme!
War ich sein liebster Freund ihm doch,
Er hielt mich stets vor allen hoch.
Ihr werdet sehn, mir wird’s gelingen,
Die Freude wieder in sein Herz zu bringen.
Wagner
Das hoff ich leider! nimmermehr.
Die Freude flieht mit schnellen Sohlen;
Läßt man sie fort so weit, wie der,
So ist sie nimmer einzuholen. —
Seht nur, da liegen noch die Splitter
Vom alchimist’schen Apparat,
Den er im Zorn zerschlug, zertrat;
Wie kränkt’ er mich damit so bitter!
Da kam er heim in später Nacht,
Als ich am Herde noch gewacht,
Und so vergnügt mein Feuer schürte,
Und meine Kolben hitzt’ und rührte;
Da rief er aus mit wildem Spott:
»Ist doch die sämtliche Natur
Zu unsrer Qual geschäftig nur,
Ein heimlich tückisches Komplott;
Die Glieder halten fest zusammen,
Daß keins das andre je verrät,
Von ihrem Sinne was gesteht,
Daß sie, geworfen in die Folterflammen,
Den Märtyrtod des Schweigens sterben.«
Er rief’s und hatte mit den Worten
Phiolen, Flaschen und Retorten
Zerschmettert schnell in tausend Scherben.
Herr, so umnachtetem Gemüt
Kein Hoffen mehr auf Erden blüht.
Faust (hereintretend und auf Isenburg zueilend)
O Freund aus meinen Jugendtagen!
Mein Isenburg! dich sandte Gott!
Isenburg
Mein Faust!
(Sie umarmen sich)
Wagner
Wohl mir, ich hör ihn wieder sagen,
Und ohne Groll, den Namen Gott.
Isenburg (Faust betrachtend)
Dein Leben traf ein harter Streich;
Mein Faust, wie bist du worden bleich,
Seit ich dich sah zum letztenmal.
Faust
O Freund! du schöner, letzter Strahl
Von meiner Sonne, die versunken!
Wohl bleich, — ich habe Gift getrunken,
Des Zweifels Gift in starken Zügen,
Und meine bösen Würfel liegen.
Isenburg
Nein, nein! mußt wieder dich erheben
Und freuen dich am schönen Leben.
Nicht länger hier so einsam bleib,
Nimm dir ans Herz ein holdes Weib.
O Freund, du kennst die Liebe nicht,
Sie soll dir bringen Trost und Licht.
Ist an der Welt dein Herz erkrankt,
Und wenn dein guter Glaube wankt,
Blick einem Weibe, das dich liebt,
Ins Auge, und dein Gram zerstiebt,
Die Welt wird sich dir freundlich zeigen,
Es werden all die Stimmen schweigen,
Die dich zum Abgrund lockend riefen,
Du blickst in heitre Gottestiefen.
Oh, laß dein Herz an Vaterwonnen
Sich froh zum ew’gen Frühling sonnen.
Was frommt die ungewisse Saat
Der Wissenschaft? was frommt die Tat?
Die leichte Saat verweht der Wind,
Und eine Tat ist doch kein Kind;
Du kannst ihr nicht die Locken streicheln,
Ihr nicht ins liebe Antlitz blicken,
Und ihr mit süßen Namen schmeicheln,
Das warme Haupt ans Herz dir drücken.
Ich hab’s erfahren: Weib und Kind
Das höchste Gut auf Erden sind.
Faust
Ich will kein Weib als Braut umschlingen.
Mein Leben ist ein wildes Hadern,
Aus grolldurchgiftet bösen Adern
Soll mir kein Kind, mir gleich, entspringen.
Mir taugt kein Weib voll Lieb’ und Treu’,
Es ward mein Herz versöhnungsscheu.
Ein Weib, das mir nicht Ekel brächte,
Das müßte fromm sein und im Bund der Mächte,
Mit denen ich in Bruch und Fluch;
Das wär’ ein ärgerlicher Widerspruch.
Wenn du das helle, farbenfrohe
Röslein hinpfropfest in den Eichenspalt,
So wird es von der scharfen Lohe
Des Baumes schwarz und mißgestalt.
Kurz, Freund, laß mich damit in Frieden;
Mir dünkt die Welt ein enges Kerkerloch,
Und sollt’ ich im Gefängnis noch
Der Blöde sein, mich anzuschmieden?
Für mich ist jedes Glück verloren.
Ich will dir treuen Freund nicht sagen,
Du könntest mich zu schwer beklagen,
Wem ich mein Leben zugeschworen.
Isenburg
O schwör es einem Herzen zu,
Das ohne dich ist ohne Ruh’.
Gedenkst du meiner Schwester noch, Theresen?
Sie war ein zartes Mägdlein noch
Als sie dich sah, und konnte doch
Von deinem Bilde nicht genesen;
Ist nun ein Fräulein herrlich anzuschauen,
Die Zierde aller sächsischen Jungfrauen,
An Seele fromm und himmlisch rein;
Kannst du sie lieben, sei sie dein!
Als einst ich nah dem Tode lag,
Da standst du treulich Nacht wie Tag
Am Bett mir, bis dein seltnes Wissen
Des Todes Armen mich entrissen.
Du hast das Leben mir gerettet,
Ich rette dir den Lebensfrieden,
So ist dein Glück und meins entschieden,
Wir sind auf ewig festverkettet.
Wie freundlich mir die Zukunft glänzet!
Der Liebe und dem Herrn ergeben,
So wollen wir zusammenleben
Auf unserm Schlosse waldumkränzet,
Uns teilen brüderlich in Gottes Segen,
All unsre Freuden treu zusammenlegen.
Faust, freue dich, und reiche mir die Hand,
Mit mir zu ziehen in mein Heimatland!
Faust
Geliebter Freund, du bist umsonst gekommen,
Nun kann mir deine Treue nichts mehr frommen.
Du letzter Strahl aus meinen hellen Tagen,
Kann dich und deine Liebe nicht ertragen;
Du dringst mir in des Busens Finsternisse,
Beleuchtest mir des Herzens tiefe Risse,
Die durch und durch hinab zur Hölle klaffen.
’s ist aus! leb wohl! ich muß mich dir entraffen! —
(Faust eilt davon; Isenburg eilt ihm nach; doch Mephistopheles erfüllt das Haus mit schwarzem Nebel, in welchem Faust verschwindet)